Koalition lässt Barroso im Regen stehen
Mitteilung der Bundestagsfraktion
Von Entwicklungspolitikerinnen und Politikern wird gelegentlich behauptet, deren Differenzen seien geringer, als in anderer Politikfeldern. Einmal mehr kann man erkennen, dass dies nicht der Fall ist.
In der Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) am 12.11.2008 lehnten die Entwicklungspolitiker der Koalition einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur Unterstützung des sogenannten Barroso-Vorschlages ab. Der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte auf dem G8-Gipfel in Japan angekündigt, nicht genutzte Gelder aus dem EU-Agrarhaushalt in Höhe von 1 Mrd. Euro für die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern umzuwidmen. Der Vorschlag wurde von Entwicklungsorganisationen und Kirchen mit Nachdruck unterstützt.
Geld für den Agrarhaushalt statt für die Entwicklung armer Länder
"Wir müssen schnell handeln", mahnte EU-Entwicklungskommissar Louis Michel. Ursprünglich sei der Unterstützungsfonds für die Ernten 2008/2009 vorgesehen gewesen, mittlerweile könne es nur noch um die Ernten 2009/2010 gehen: Das ist bereits eine verpasste Chance. In der Bundesergierung haben sich die Agrarlobby und das Finanzministerium durchgesetzt. Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums kommentiert unmissverständlich "die Rückflüsse aus dem EU-Haushalt werden in den deutschen Agrarhaushalt gehen. Dieses Geld darf nicht für die Entwicklung armer Länder verwendet werden, sondern muss an die Bauern zurückfließen". Armes Deutschland.
In Brüssel steht die Entscheidung des Rats und des Parlaments zu dem Vorschlag derweil noch aus. Ein Beschluss des Bundestages hätte den Druck auf die Regierung verstärken können, den Vorschlag Barrosos doch noch zu unterstützen. Die Mehrheit des AwZ lehnte den Grünen Antrag jedoch ab. Während im Ausschuss die Union eine Umwidmung der überschüssigen Agrarmittel grundsätzlich ablehnte, gestanden die SPD-Abgeordneten ein, dass sie dem Grünen Antrag zustimmen wollten, sich aber in der eigenen Fraktion nicht durchsetzen konnten.
Parlament und Regierung ignorieren die Welternährungskrise
Das Nein der Abgeordneten und der Bundesregierung zeigt, dass weder die Mehrheit des Parlaments noch die Regierung bei der Reaktion auf die Welternährungskrise zu kohärentem Handeln fähig ist: Nationale Agrar- und Finanzinteressen haben mehr Gewicht als internationales Engagement in einer fundamentalen Krisensituation. Der Mehrwert des Barroso-Vorschlages bestand gerade darin, dass die Umwidmung der überschüssigen EU-Agrarmittel zusätzliche Gelder für die Bekämpfung des Hungerproblems bereitgestellt hätte. Nunmehr wird überlegt, 1 Mrd. Euro aus den Töpfen des Entwicklungsetats der EU zu nehmen, also zu reprogrammieren. Dies bedeutet nicht anderes, als dass Gelder für die Bekämpfung der Welternährungskrise bei anderen wichtigen Bereichen wie der Bekämpfung von HIV/Aids und Kinder- und Müttersterblichkeit sowie der Förderung von Bildung und Umweltschutz fehlen werden.
Dabei hat die Halbzeitbilanz zu der Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele (MDG) im Herbst eines deutlich gemacht: wenn nicht erheblich mehr Mittel von der internationalen Gemeinschaft bereitgestellt werden, ist eine Erreichung der MDGs bis 2015 nicht möglich.Beim Welternährungsgipfel in Rom hat die internationale Gemeinschaft im Juni diesen Jahres Hilfsgelder in Höhe von 12 Mrd. US-Dollar zugesagt. Es ist ein Armutszeugnis, dass hiervon erst 1 Mrd. Dollar aufgebracht wurden – insbesondere im Vergleich zu den enormen Summen, die zur Stabilisierung des Finanzsystems innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung gestellt wurden. Allein in Deutschland stehen dafür 480 Mrd. Euro an "Hilfsgeldern" bereit, die von den Banken bei Bedarf in Anspruch genommen werden können.