Portrait
"Das ist Wahnsinn"
Von Agnes Steinbauer
"Wenn wir die globalen Herausforderungen ernst nehmen, können wir den BürgerInnen in diesem Land nicht mehr Wohlstand versprechen ..." Das schrieb Thilo Hoppe in seiner Bewerbung um einen Listenplatz für die Bundestagswahl. Damit knüpfte er an die Agenda 21 an, die 1990 auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro nachhaltiges Wirtschaften für eine gerechtere globale Entwicklung forderte. An die Agenda 2010 hat er damals noch nicht gedacht.
Sein erster politischer Akt war ein Leserbrief in der "Einbecker Morgenpost". Damals empörte sich der zwölfjährige Hoppe über die militärische Ehrenwache am Volkstrauertag in der niedersächsischen Kleinstadt. "Ich finde es richtig, dass der Opfer des Krieges gedacht wird", kritisierte der Gymnasiast, "aber muss deshalb das Gewehr präsentiert werden?" Eine pazifistisch-religiöse Grundhaltung ist der Schlüssel zu Hoppes Verständnis von Politik. Auf ihr beruht auch seine jetzige Arbeit als entwicklungspolitischer Sprecher der Fraktion.
Entwicklungspolitik ist für den 46-Jährigen im Kern Friedenspolitik. Das gilt nach dem 11. September und angesichts der immer größeren globalen Herausforderungen durch Hunger und Armut "mehr als je zuvor", betont er. Bei unserem Gespräch serviert er Tee aus seiner Heimat Ostfriesland. Bedächtig füllt er die weißen Tassen mit dem blauen Rand. "Sie müssen warten, bis der Kluntje zerspringt", erklärt er mir das Ritual. Auch in der Entwicklungspolitik ist viel Geduld nötig, davon ist er überzeugt. "Das ist eben ein Langstreckenlauf." Hoppe guckt kampfeslustig. Auch als Parlamentsneuling sei er nicht so naiv zu glauben, er könne die Welt von heute auf morgen ändern. Im Laufe seines langen Engagements in Friedensgruppen wurde dem Diakon und Journalisten irgendwann klar: "Wenn man wirklich etwas bewegen will, reicht das Dach der Kirche nicht aus."
Die Eltern waren zwar nicht parteipolitisch engagiert, aber es wurde viel über Politik diskutiert im Hause Hoppe. Besonders beeindruckt hat ihn die kritische Auseinandersetzung seines Vaters mit der eigenen Vergangenheit als Wehrmachtssoldat. Sie bestärkte Hoppe in seiner Überzeugung: Nie wieder Krieg. Die Ostermärsche im Westen und die kirchlichen Oppositionsgruppen im Osten wurden seine politische Heimat. Über die Bürgerbewegten von "Demokratie Jetzt" kam der Ostfriese zunächst zum "Bündnis 90". Mit der Fusion von Bündnis 90/ Die Grünen im Frühjahr 1993 wurde er "gesamtdeutscher Grüner".
Als Koalitionspolitiker steht Hoppe hinter der Agenda 2010, kritisiert jedoch die Pannen bei der Umsetzung der Gesundheitsreform, für die er nun zu Hause in Ostfriesland geradestehen muss. Jetzt will er die Sozialämter dort wenigstens dazu bringen, Zuzahlungen für Medikamente, etwa für Heimbewohner, vorzustrecken.
Die Agenda 2010 sei wichtig, darüber sollte aber die Agenda 21 nicht vergessen werden, betont der Entwicklungspolitiker Hoppe. Gute Ansätze dafür gebe es. Seit Antritt der rot-grünen Regierung werde Entwicklungspolitik stärker als internationale Strukturpolitik verstanden. Neben der klassischen Entwicklungszusammenarbeit wie etwa bei Brunnen-Projekten oder dem Anbau von Grundnahrungsmitteln in Entwicklungsländern beschäftige sich diese Regierung eben auch mit den Ursachen für Hunger und Armut. Ein ermutigendes Zeichen setzte für ihn der Entschuldungsgipfel von Köln. Aber der Obmann im Entwicklungs- und Menschenrechtsausschuss warnt vor zu großem Optimismus: Viele der damals entschuldeten Länder hätten heute die gleichen Probleme, nachdem sie die erdrückende Zinslast der Restschulden wieder eingeholt hat.
Richtig in Fahrt kommt der eher zurückhaltend wirkende Mann, wenn er über die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds IWF oder die Welthandelsorganisation WTO spricht. "Das ist ein Wahnsinn", empört er sich. Im Grunde fließe mehr Geld aus den Entwicklungsländern in die Länder des Nordens als umgekehrt, weil die Zinslast die Entwicklungshilfe-Zuwendungen übersteigt. Einer seiner Schwerpunkte im Bundestag war die Vorbereitung der Welthandelskonferenz in Cancun. Das Parlament verabschiedete dazu einen Antrag, den er mitverfasst hat. Darin forderte Hoppe mittelfristig die Abschaffung der Agrarexportsubventionen und die Abkehr der EU von ihrem Vorhaben, auf die Liberalisierung des Wassersektors in den Entwicklungsländern zu drängen. Doch das Erfolgserlebnis wurde rasch vom politischen Alltag eingeholt. Leider, so Hoppe, habe sich die Bundesregierung gegenüber der EU dann nur in Ansätzen für diese Kurskorrekturen stark gemacht.
Vom "Langstreckenlauf" in der Entwicklungspolitik erholt sich der vierfache Vater bei seiner Familie in Aurich. Und das tut er aus Überzeugung. Schließlich hatte er als Diakon in der Gemeindearbeit Männer zur Familienarbeit ermutigt und selbst zwei Mal Erziehungsurlaub genommen. Seine Kinder – drei Jungen und ein Mädchen im Alter von neun bis siebzehn – haben es trotzdem nicht immer leicht mit ihrem Vater. Tochter Marie ist schon mal genervt, wenn ausgerechnet sie in der Schule erklären soll, wie der Bundespräsident gewählt wird. Begründung: "Du musst das wissen, dein Vater ist doch Abgeordneter." Thilo Hoppe schmunzelt beim Erzählen. Neben der Familie hat er aus Zeitmangel "leider nur theoretische Hobbys": auf der Nordsee Kajak fahren und Seehunde gucken oder Sportfechten. So bleibt es vorerst bei der Leidenschaft, die jederzeit zu realisieren ist: Teetrinken! Natürlich Ostfriesentee. Fair gehandelt würde Hoppe ihn noch lieber trinken, auch daran arbeitet er. "Abwarten", sagt er und nimmt noch einen Schluck.
aus: profil: GRÜN, 03/04