Rede zur Bundestagsdebatte "Ernährungssicherung in Entwicklungsländern"
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zuerst die gute Nachricht in Richtung SPD: Wir stimmen Eurem Antrag zu! Er ist erstaunlich gut – und wir hätten nicht gedacht, dass er von der gesamten SPD-Fraktion akzeptiert werden würde. Entweder hat die Agrarlobby in Euren Reihen geschlafen – oder es deutet sich wirklich ein Bewusstseinswandel innerhalb der SPD an.
Darauf deutet zum Beispiel Punkt 31 hin, in dem gefordert wird „der zunehmenden Konkurrenz von Trog und Teller entgegenzuwirken und die (Intensiv)tierhaltung so aufzustellen, dass sie weitgehend mit regionaler Futtermittelerzeugung bewerkstelligt werden kann“.
Prima! Das ist eine deutliche Abkehr von den agrarpolitischen Vorstellungen eines Udo Folgart, der 2009 noch Landwirtschaftsminister im Schattenkabinett von Steinmeier war und keine Probleme mit riesigen Schweinemastanlagen und Futtermittelimporten aus Entwicklungsländern hatte.
Hoffen wir, dass dieser Antrag wirklich auf eine Kurskorrektur der SPD-Agrarpolitik hindeutet, die auch Bestand hat.
Am Anfang des Antrags stehen die Hungerzahlen, die allerdings mit Vorsicht zu genießen sind. Wir erinnern uns, dass wir vor einiger Zeit von rund einer Milliarde Hungernden gesprochen haben. Wenn jetzt öfter von 870 Millionen chronisch Unterernährten die Rede ist, dann erweckt das den Eindruck, dass wir uns über einen Rückgang freuen können. Schön wärs ! Die Kriterien und Methoden der Zählung wurden verändert. Und die Zahl 870 Millionen wurde von der FAO im Jahr 2011 ermittelt – also vor den großen Hungerkatastrophen am Horn von Afrika und im Sahel. Vermutlich kommt die eine Milliarde der Realität nach wie vor näher.
Und dann kommt noch der sogenannte versteckte Hunger dazu: Weitere 1,5 Milliarden Menschen, die auf den ersten Blick nicht wie abgemagerte Hungeropfer aussehen, aber dennoch schwerwiegend mangelernährt sind. Sie kommen dauerhaft nicht an lebenswichtige Vitamine und Mikronährstoffe wie Zink, Eisen und Jod heran und werden deshalb krank.
Die Vereinten Nationen gehen davon aus, das jeden Tag auf dieser Welt rund 25 000 Menschen – darunter sehr viele Kinder– an den direkten und indirekten Folgen einer chronischen Unter- und Mangelernährung sterben. 25 000 – die Einwohner einer mittleren Kleinstadt – jeden Tag!
Und dies liegt keineswegs an der so genannten Bevölkerungsexplosion. Denn die landwirtschaftliche Produktion weltweit ist schneller gestiegen als die Weltbevölkerung: die Kalorienmenge, die – rein statistisch – 1960 jedem Erdenbewohner zur Verfügung stand, betrug 2200 Kilokalorien – 2008 waren es bereits rund 2790 Kilokalorien.
Wie gesagt, das sind statistische Angaben, die den Hungernden nicht helfen. Sie machen aber deutlich, dass genug für alle da ist – dass der Hunger in der Welt (noch) kein Mengenproblem ist, sondern ein Verteilungs- und Gerechtigkeitsproblem.
Der Hunger in der Welt ist eine Folge von Politikversagen – und so gesehen eine Anklage gegen uns alle!
In dem Antrag der SPD werden fast alle Hungerursachen benannt: Vor allem die Vernachlässigung der Landwirtschaft, der ländlichen Entwicklung (da wär ein bisschen Selbstkritik angebracht gewesen; da hat sich Rot-Grün damals nicht mit Ruhm bekleckert - es war ein ständiger Streitpunkt zwischen SPD und Grünen) –
der Klimawandel, die ausufernde Spekulation mit Nahrungsmitteln, Landgrabbing, kriegerische Auseinandersetzungen, ungerechte Welthandelsstrukturen.
Etwas kurz kommt im Antrag die Überfischung der Meere - auch vor den Küsten Afrikas, auch durch europäische und auch durch deutsche Fabrikschiffe. Übrigens hat das Europäische Parlament am 6.Februar mit großer Mehrheit eine sehr weitreichende Entschließung zur aktuellen Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik verabschiedet. Nun hoffen wir, dass die Bundesregierung sich im Fischereirat mit aller Kraft dafür einsetzt, dass diese wichtigen Reformvorschläge nicht verwässert werden.
Wirklich vermisst haben wir in dem Antrag einen Bezug auf den Weltagrarreport, den Empfehlungen des IAASTD-Berichts.
Denn der warnt eindringlich vor einem Verlust der Bodenfruchtbarkeit durch Überdüngung und einen zu starken Einsatz von chemischen Giften.
Industrielle Landwirtschaft mit Gentech und der chemischen Keule ist Teil des Problems und heizt enorm den Klimawandel an. Wir brauchen eine weltweite Agrarwende – hin zu wirklich nachhaltigen Anbaumethoden. Das kommt im SPD-Antrag zu kurz.
Und wir hätten uns auch eine klare Absage an die verfehlte Strategie der jetzigen, der schwarz-gelben Bundesregierung, gewünscht, die mit BASF, Coca Cola und Monsanto den Hunger bekämpfen will. In der im Rahmen der G8 vereinbarten „New Alliance for Food Security and Nutrition“ sind Deutschland und die anderen G8-Staaten eine unheilige Allianz eingegangen mit den Giganten der Agrar- und Ernährungsindustrie
Das Ziel ist es, Investitionen in die Landwirtschaft von Entwicklungsländern zu erhöhen. Grundsätzlich der richtige Gedanke. Die Frage ist nur wie und für wen? Um sich für die New Alliance zu qualifizieren müssen die Zielstaaten ihre Politik so gestalten, dass sie Investmentmöglichkeiten verbessert. Dies kann fatale Folgen haben: Mosambik zum Beispiel hat sich verpflichtet, kein traditionelles Saatgut mehr zu verteilen; Tansania verspricht Pestizide schneller zuzulassen; in Äthiopien sollen die Bedingungen für Landkäufe erleichtert werden.
Das ist nicht im Sinne einer nachhaltigen Landwirtschaft, nicht im Sinne der Ernährungssouveränität und wird möglicherweise die Lebensbedingungen der Kleinbauern und Landarbeiter, der Indigenen und anderer verletzlicher Gruppen sogar noch verschlechtern.
Ich habe einige Dinge aufgezählt, die wir in dem SPD-Antrag, vermissen. Trotzdem stimmen wir zu, weil alle aufgeführten Punkte richtig sind.
Wir Grünen haben bereits detaillierte Vorschläge zur Eindämmung des Landgrabbings und der skrupellosen Spekulation mit Nahrung vorgelegt – und in der letzten Wahlperiode einen umfangreichen Antrag zur ländlichen Entwicklung, der nach wie vor Gültigkeit hat.
Dennoch werden wir bald einen Antrag vorlegen, der unsere umfassende, kohärente Strategie im Kampf gegen den Hunger darstellt und ein Maßnahmenbündel beinhaltet, das weit über den Bereich ländliche Entwicklung hinausgeht.
Ja – und dann hoffe wir, dass sich die SPD revanchiert und auch unserem Antrag zustimmen wird. Weit liegen wir nicht auseinander.
Und meine Hoffnung ist groß, dass wir ab dann nach dem 22. September gemeinsam den Mut haben werden, wirkungsvolle Maßnahmen im Kampf gegen den Hunger anzupacken.
Wir sind es den Hungernden schuldig!