Noch lange nicht überflüssig: Eine kohärente Strategie zur Überwindung des Hungers
Heute wurde unser Antrag „Für eine kohärente Politikstrategie zur Überwindung des Hungers“ im Entwicklungsausschuss des Bundestags beraten. Mit diesem Antrag machen wir Grünen deutlich, dass es sehr viele unterschiedliche Ursachen für Unter- und Mangelernährung gibt. Diesen kann nur durch einen ressortübergreifenden und abgestimmten Ansatz begegnet werden. Es reicht eben nicht aus, sich auf die Förderung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums durch die Entwicklungszusammenarbeit zu beschränken - auch wenn diese eine wichtige Komponente ist und mit mehr Geldern ausgestattet werden muss: Ebenso notwendig sind eine gerechte EU-Handels- und Agrarpolitik, der Ausbau von sozialen Sicherungssystemen, die Eindämmung des Klimawandels, Schranken für die Spekulation mit Nahrungsmitteln, eine Verringerung des Fleischkonsums sowie strenge Kriterien für Biokraftstoffe.
Koalition drückt sich vor ihrer Verantwortung
Statt sich einer inhaltlichen Debatte zu stellen, taten die Koalitionsfraktionen den Antrag mit dem Argument ab, er sei überflüssig und zu umfassend. Das ist angesichts des gerade veröffentlichten Jahresberichts (State of Food and Agriculture) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) blanker Hohn: Noch immer sind weltweit (konservativ geschätzt) 868 Millionen Menschen unterernährt, 2 Milliarden leiden an „verborgenem Hunger“ (Mangel an Mikronährstoffen) und 26 % der Kinder sind deshalb in der körperlichen Entwicklung zurückgeblieben. Natürlich unterstützen auch die Koalitionsfraktionen den Kampf gegen den Hunger, doch behaupten sie, diese Bundesregierung habe hier bereits genug vorgelegt. Was die Kohärenz angeht muss man leider sagen: Keinesfalls. Weiterhin propagiert Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner das Modell der Massentierhaltung mit all seinen negativen Konsequenzen in anderen Teilen der Welt; noch immer sperrt sich der Finanzminister gegen strenge Limits gegen exzessive Spekulation; und noch immer sind dem Wirtschaftsressort die Investitions- und Profitinteressen der deutschen Exportwirtschaft wichtiger als die Existenzgrundlage von KleinbäuerInnen in Indien, Kolumbien oder Westafrika. Dabei betont auch der FAO-Jahresbericht die Wichtigkeit einer multisektoralen Strategie.
Industrielle Landwirtschaft versus agrar-ökologische Modelle
Doch nicht nur in diesem Punkt, sollte die Koalition sich nicht mit dem Urteil „überflüssig“ davonstehlen: Auch was das Landwirtschaftsmodell selbst angeht, ist sie eindeutig auf dem Holzweg. Denn nicht großflächige, industrielle Monokulturplantagen werden 2050 neun Milliarden Menschen ernähren – im Gegenteil sie verschärfen den Klimawandel, laugen die Böden aus und zerstören die Biodiversität. Die Folgen einer kurzfristigen Produktionssteigerung müssen dann die nächsten Generationen tragen. Doch die Bundesregierung unterstützt genau dieses Modell, indem sie sich zum Beispiel hinter die New Alliance on Food Security and Nutrition der G8 stellt. An diesem Samstag hat der britische Premier Cameron gemeinsam mit Brasilien und der Children’s Investment Fund Foundation (die Charity-Organisation eines Hedgefonds-Gründers) zu einer großen Konferenz in London geladen. Business-Chefs sollen mit Wissenschaft und Politik darüber diskutieren, wie die Welt ernährt werden kann. Es ist zu befürchten, dass hier ein ähnliches Modell wie das der New Alliance gepriesen wird: Afrikanische Staaten verpflichten sich, den freien Austausch von Saatgut zu unterbinden, Pestizide schneller zuzulassen oder die Verpachtung von Landflächen zu erleichtern. Die an dem Bündnis beteiligten Konzerne der Agrar- und Ernährungsindustrie reiben sich die Hände.
Statt den nachhaltigen Vorschlägen unseres Antrags zu folgen – nämlich KleinbäuerInnen, KleinfischerInnen und PastoralistInnen mit agro-ökologischen und standorangepassten Methoden darin zu unterstützen, sich und die Menschen in ihrer Region zu ernähren – meint die Koalition, selbst zu wissen, wie das Ernährungsproblem zu lösen ist. Wenn das bedeutet, Monsanto, Syngenta und Co das Wort zu reden, ist das hoch bedenklich.