Leserbrief an die WirtschaftsWoche
Zu dem in der letzten Ausgabe der WirtschaftsWoche (Heft 5/2011) erschienen Artikel von Martin Gerth und Frank Doll über die aktuelle Preis-Rally an den Agrarrohstoffmärkten sowie Anlagemöglichkeiten für KleininvestorInnen in diesem Sektor, erklärt Thilo Hoppe in einem Leserbrief:
Die Autoren stellen richtig fest, dass sich kein endgültiger Beweis erbringen lässt, ob Spekulationen auf Rohstoffe an den Warenterminbörsen die realen Preise mitbestimmen. Dennoch geht inzwischen die Mehrheit der ExpertInnen (Weltbank, BMZ, UNCTAD, FAO, die amerikanische Finanzaufsichtsbehörde CFTC, IFPRI und zahlreiche NGOs) davon aus, dass der massive Anstieg des Rohstoffderivatehandels bedeutend zur Preisspitze an den internationalen Nahrungsmittelmärkten in den Jahren 2007/8 beitrug. Diese Analyse ist wohl auch auf die jüngsten Preisanstiege im Rohstoffsektor seit dem Sommer 2010 zu übertragen.
Dass die Autoren in das überholte Erklärungsmuster von 2008 zurückfallen, welches fast ausschließlich eine steigende Nachfrage (z.B. nach Fleisch und Milchprodukten) in den Schwellenländern, "Klimakapriolen" und die zunehmende Produktion von Bio-Sprit für die Preissprünge verantwortlich macht, lässt an der Fachkompetenz der Autoren zweifeln. Selbst wenn die von der WirtschaftsWoche genannten Faktoren eine langfristige Preissteigerung erklären, so versagen sie doch vor der nie gesehenen Volatilität an den Märkten: Der rapide Abwertstrend des FAO Food Price Index nach Juli 2008 ist wohl kaum dadurch zu erklären, dass die Menschen in China und Indien plötzlich weniger Fleisch und Joghurt gegessen hätten oder der Bio-Sprit-Boom zurückgegangen sei. Alles deutet auf das Platzen einer Spekulationsblase hin.
Im zweiten Teil des Artikels machen die Autoren es KleinanlegerInnen schmackhaft, von der Agrar-Rally, die "noch nicht gelaufen" sei, durch Finanzanlagen zu profitieren. Potenziellen InvestorInnen wird hierbei durch die vorgestellte, fehlgeleitete Analyse und den Verweis auf das Beispiel Kaffee suggeriert, dass sie sich nicht als "Profiteure des Welthungers fühlen" müssen. Dabei tauchen in den vorgestellten Anlagemöglichkeiten unkommentiert auch Mais-, Weizen- und Reis-Futures sowie Agrarrohstoff-Indizes auf. Angesichts der sich wieder zuspitzenden Ernährungskrise im globalen Süden ist die verzerrte Darstellung der WirtschaftsWoche unverantwortlich. Nach wie vor führen nicht alle aber viele Investitionen im Agrarbereich dazu, dass in Hungerländer verstärkt Cash-Crops für das Exportgeschäft angebaut werden und dafür KleinbäuerInnen vertrieben werden. Und viele Spekulationsgeschäfte mit Agrarrohstoffen treiben die Preise in solche Höhen, dass sich die Ärmsten der Armen das täglich Brot bzw. die Schale Reis nicht mehr leisten können.
KleinanlegerInnen zu suggerieren, sie könnten sich reinen Gewissens an solchen Geschäften beteiligen, ist unlauter. Man muss schon ganz genau hinschauen und nachfragen, um Spreu von Weizen trennen zu können – sinnvolle Investitionen in eine nachhaltige Landwirtschaft, die der Ernährungssicherung dient von einem Casino-Spiel auf dem Rücken der Verletzlichsten.