Honduras: Der weite Weg von der Bananenrepublik zur Demokratie
Wie die Krise nach dem Putsch als Chance genutzt werden könnte
Von Thilo Hoppe MdB
Nachdem am 27. Januar in Tegucigalpa der reiche Unternehmer Pepe Lobo seinen Amtseid als neuer Präsident von Honduras geleistet hatte und am selben Tag sein gestürzter Vorgänger, Manuel Zelaya, im Exil in der Dominikanischen Republik gelandet war, kommentierten einige deutschen Zeitungen: "Putsch vollendet". Sie meinten, dass die Rechnung derjenigen, die den Staatsstreich vom 28. Juni letzten Jahres ausgeheckt und durchgeführt hätten, voll aufgegangen sei. Doch noch ist das letzte Kapitel dieser abenteuerlichen Geschichte nicht geschrieben.
Schaut man sich die Geschichte von Honduras an, vor allem die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, dann wird man viele Gründe dafür finden, dieses kleine mittelamerikanische Land als klassische Bananenrepublik zu bezeichnen.
Das Volk hat bisher keine oder nur geringe Möglichkeiten gehabt, sein Schicksal selbst zu bestimmen. Es war stets Spielball ausländischer Mächte – vor allem der USA –, transnationaler Unternehmen, korrupter Militärs und einer Oligarchie, die sich auf zehn superreiche Familien beschränkt.
Zwar gibt es seit 1982 formal eine Demokratie. Doch die damals von den Wirtschaftseliten ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Verfassung begünstigt ein Zwei-Parteien-System, sieht außer der Möglichkeit, alle vier Jahre ein Kreuzchen zu machen, kaum Elemente der Bürgerbeteiligung vor und hat viele Unzulänglichkeiten und Widersprüche. So sind beispielsweise die Möglichkeiten, die Verfassung zu ändern, sehr beschränkt. Und es gibt in dieser Verfassung auch keinerlei Instrumente, einen Präsidenten während seiner Amtszeit abzusetzen. Der Präsident von Costa Rica, Friedensnobelpreisträger Oscar Arias, hat deshalb die Verfassung des Nachbarlandes als "juristischen Müll" bezeichnet.
Doch das honduranische Volk, das bisher immer als duldsam und politisch desinteressiert galt, nahm vieles hin und lies zu, dass sich die beiden traditionellen Parteien – die Nationale Partei und die Liberale Partei – die Bälle zuspielten und die Pfründe unter sich aufteilten. Mal siegten die Nationalen, dann wieder die Liberalen – politisch machte das kaum einen Unterschied, weil in beiden Parteien die Oligarchie das Sagen hatte und dafür sorgte, dass die Steuern am Boden blieben und die (eigenen) Geschäfte nicht gestört wurden.
Das war auch 2005 so, als bei der Präsidentschaftswahl wieder einmal zwei reiche Unternehmer und Großgrundbesitzer gegeneinander an-traten. Mel Zelaya von den Liberalen siegte knapp vor Pepe Lobo von den Nationalen. Lobos Wahlkampfstrategie, sich unter dem Symbol der eisernen Faust als Hardliner zu präsentieren, der durch die Wiedereinführung der Todesstrafe die ausufernde Kriminalität in den Griff bekommen wollte, wäre fast aufgegangen. Doch am Ende lag Zelaya knapp vorn, da man von ihm mehr Impulse zum Wirtschaftswachstum erwartete. Auch der Industrieverband des Landes hatte eher auf die Karte Zelaya gesetzt.
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Pepe Lobo und Mel Zelaya kennen sich gut, bezeichneten sich trotz politischer Rivalität als "gute Freunde" und sollen auch schon viele (mehr oder weniger krumme) Geschäfte miteinander gemacht haben. Beide kommen aus der Provinz Olancho. Lobo soll dort nicht nur durch den Anbau und Export von Mais und Soja, sondern auch durch (illegalen) Holzeinschlag verdient haben – zusammen mit Zelaya, der unter anderem Besitzer des größten Sägewerks des Landes war. Eigentlich hätte in Honduras alles so weitergehen können wie bisher: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Fernsehen, Fußball und Fusel sorgen dafür, dass sie nicht rebellisch werden. Doch dann läuft Mel Zelaya aus dem Ruder, gerät auf Linkskurs und bringt die gesamte Oligarchie gegen sich auf. Warum, wieso, weshalb? Dafür gibt es sehr unterschiedliche Deutungsmuster – je nach politischem Lager.
Variante A, die von den Anhängern Zelayas verbreitet wird: Der gütige Landesvater entdeckt sein Herz für die Armen, besinnt sich und beschließt, aus dem alten Machtspiel der Wirtschafts-eliten auszusteigen. Er verdoppelt den Mindestlohn und tastet sich auch an die Themen heran, die in allen latein-amerikanischen Ländern zu den heißen Eisen gehören: die extrem ungleiche Landverteilung und die lächerlich geringen Steuersätze. Da der Internationale Währungsfonds seinen Kurswechsel nicht mitmacht und ihn zu einer Deckelung der Staatsausgaben zwingen will, tritt er der auf Initiative Venezuelas gegründeten alternativen Wirtschaftsgemeinschaft ALBA bei, um politischen Spielraum zu gewinnen und soziale Reformen durchführen zu können. Da die honduranische Verfassung dies nur beschränkt ermöglicht und auch nur kaum Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung zulässt, will Zelaya eine unverbindliche Bürgerbefragung durchführen lassen. Das Volk soll gefragt werden, ob das Projekt einer "Constituente", Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, in Angriff genommen werden soll.
Variante B, die von den Putschisten zur Begründung der gewaltsamen Absetzung Zelayas herangezogen wird: Zelaya beginnt unter Größenwahn zu leiden. Weil er es nicht verwinden kann, aufgrund eines ewig unveränderbaren Artikels in der honduranischen Verfassung schon nach vier Jahren einem Nachfolger Platz zu machen, strebt er eine Verfassungsänderung an und lässt sich dabei auch nicht vom Obersten Gericht des Landes abbringen. Die Zustimmung des Volkes will er sich durch Wahlgeschenke kaufen, die die Staatskassen ruinieren. Als die Staatskasse leer und der IWF nicht mehr bereit ist, Zelayas Verschwendungs-sucht durch einen neuen Kredit auszugleichen, pumpt sich Zelaya das Geld von Venezuelas Staatschef Chavez. Doch dieser "Teufel" gibt nichts zum Nulltarif sondern verlangt, dass Zelaya sein Land nicht nur in das Wirtschaftsbündnis ALBA führen soll sondern nach und nach auch zu dem von Chavez propagierten "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Auf Rat von Chavez will sich Zelaya mit Hilfe einer Verfassungsgebenden Versammlung die Möglichkeit verschaffen, wiedergewählt zu werden. Ein Prozess, an dessen Ende Zelaya zum sozialistischen Diktator, zum "maximo liedre" mutieren könnte.
Je nachdem, welcher Grundannahme man folgt, waren die Ereignisse am 27. Juni 2009 ein Putsch, mit dem die Oligarchie ihre Macht und ihre Pfründe sicherte und soziale Reformen verhinderte – oder es war die Verteidigung der Demokratie gegen geplanten Verfassungsbrüche durch den Präsidenten, der seine Macht ausbauen und den Sozialismus einführen wollte.
Ob damit ein drohender Verfassungsbruch durch den Präsidenten verhindert werden sollte oder nicht – klar ist, dass das, was Spezialkräfte der Armee am 27. Juni unternahmen, tatsächlich begangener Verfassungsbruch war: Sie drangen in die Wohnung von Zelaya ein, schoben nach einer Rangelei die überraschte Leibwache zur Seite und zwangen den Präsidenten unter vorgehaltener Maschinenpistole mitzukommen. Er wurde – noch im Pyjama – zum Flughafen geschleppt und mit einer Militärmaschine nach Costa Rica gebracht. Andere Einheiten besetzten unterdessen verschiedene Rundfunk- und Fernsehstationen, blockierten Verkehrsknotenpunkte und stellten vorübergehend in der Hauptstadt den Strom ab.
Am nächsten Tag tritt das Parlament zusammen. Einigen Zelaya-Anhängern der gespaltenen Liberalen Fraktion wird der Zutritt verweigert. Drinnen wird ein Rücktrittsschreiben Zelayas verlesen, das sich später unbestritten als Fälschung erweist – und Parlaments-präsident Roberto Micheletti zum Interimspräsidenten gewählt. Micheletti, der ebenfalls wie Zelaya der Liberalen Partei angehört, verhängt den Ausnahmezustand.
Es kommt auf den Straßen zu Demonstrationen gegen den Putsch. Polizei und Armee reagieren mit Tränengas und Knüppeln. Vereinzelt wird auch geschossen. Im Laufe der nächsten Wochen und Monate bezahlen mindestens 20 Honduraner für ihren Protest gegen den Putsch mit dem Leben. Die Menschenrechtslage, auch vor dem Putsch nicht besonders rosig, verschlechtert sich dramatisch. Amnesty International und die Interameri-kanische Menschenrechtskommission dokumentieren seit dem Putsch 4200 Fälle von massiver Einschüchterung und Verfolgung. Es gibt immer wieder Protestdemonstrationen, die von einem heterogenen Widerstandsbündnis, der "Resistencia", organisiert werden. Doch mit Hilfe des Militärs behält die neue De-facto-Regierung unter Roberto Micheletti die Lage im Land unter Kontrolle.
Was ihr allerdings überhaupt nicht gelingt, ist es, die Nachbarstaaten und die internationale Gemeinschaft von der Legitimität des Staatsstreiches zu überzeugen. Kein Land der Welt erkennt Micheletti und seine neue Regierung an. Einmütig verurteilen die Vereinten Nationen, die Europäische Union und auch die Organisation Amerikanischer Staaten (und zwar einstimmig!) den Putsch als Putsch und fordern die Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt.
Schockiert sind Micheletti und Co. über die Reaktion der neuen US-amerikanischen Regierung und vor allem der von Präsident Barack Obama. Dieser verurteilt den Staatsstreich scharf und belegt die Mitglieder der Putsch-Regierung mit persönlichen Sanktionen, unter anderem Einreise-verbot in die USA, was einen Minister Michelletis dazu hinreißen lässt, Obama öffentlich als "negrito" ("Negerlein") zu beleidigen, von dem man sich gar nichts sagen lasse.
Von der einmütigen Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ermutigt, unternimmt Zelaya mehrere Versuche, in sein Heimatland zurückzukehren. Mal versucht er, mit prominenter Begleitung – u.a. Argentiniens Präsidentin Kirchner und Paraguays Präsident Lugo – auf dem Flughafen von Tegucigalpa zu landen. Mal führt er einen Protestmarsch zur Landesgrenze zwischen Nicaragua und Honduras an. Mal rollen Panzer auf die Landebahn, mal versperren ihn Infanteristen den Weg. In dieser Mischung aus Krimi und Western gelingt Zelaya erst in der dritten Folge, im dritten Versuch, die Rückkehr. Nur in Begleitung weniger Getreuer überquert er, unter der Plane eines Kleintransporters versteckt, die Grenze und schlägt sich auf Urwaldpfaden nach Tegucigalpa durch. Dort findet er in der brasilianischen Botschaft Unterschlupf und tritt stolz vor die Kameras ausländischer Sender.
Micheletti, der noch wenige Minuten zuvor im honduranischen Fernsehen die Rückkehr Zelayas als "völlig unmöglich" bezeichnet hat, ist bis auf die Knochen blamiert. Seine De-facto-Regierung reagiert gereizt und nervös, dreht der brasilianischen Botschaft vorüber-gehend das Wasser und den Strom ab, lässt das Gebäude Tag und Nacht mit lauter Musik beschallen und riegelt das ganze Viertel, in dem es liegt, hermetisch ab. Erst nach heftigen Protesten von Brasiliens Präsident Lula und der Organisation Amerikanischer Staaten werden die Schikanen beendet. Doch Zelaya kann die Botschaft nicht verlassen. Micheletti droht ihn zu verhaften, sobald er sich außerhalb des brasilianischen Hoheitsgeländes begeben sollte.
Doch nicht nur Micheletti verkalkulierte sich sondern auch Zelaya. Er hatte gehofft, dass ihn seine abenteuerliche Rückkehr zum Helden machen und im ganzen Land einen Sturm der Begeisterung auslösen würden – Massendemonstrationen, vor denen die Putschisten kapitulieren müssten wie 1989 der SED-Regime vor der friedlichen Revolution.
Es gab zwar zahlreiche Pro-Zelaya-Demonstrationen. Aber auch die beiden etablierten Parteien organisierten Massenaufmärsche – pro Micheletti und contra Zelaya. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, Demonstranten bezahlt zu haben. Welche Seite mehr Leute auf die Beine stellen konnte – und ob mit lauteren oder unlauteren Mitteln – lässt sich schwer abschätzen. In Honduras ist es durchaus üblich, das Erscheinen auf Demonstrationen mit kleinen Prämien zu honorieren.
Und auch der Aufruf Zelayas und der "Resistencia", die bereits vor dem Putsch vorbereitete und für den 29. November angesetzte Wahl zu boykottieren, fand weniger Widerhall als von ihm erhofft. Erwartungsgemäß gingen die Angaben über die Wahlbeteiligung weit auseinander – von knapp 30 bis über 60 Prozent. Augenscheinlich soll aber der Andrang bei den Wahllokalen nicht wesentlich geringer gewesen sein als bei den Wahlen zuvor. Aufgrund der Repressionen im Vorfeld der Wahl hatten weder UNO noch OAS noch EU offizielle Wahlbeobachter nach Honduras entsandt. Nach Schätzungen unabhängiger Journalisten dürfte die Wahlbeteiligung zwischen 45 und 48 Prozent gelegen haben – etwas aber nicht wesentlich geringer als in Honduras üblich.
Weder die Wahlen noch der Wahlboykott können als Erfolg bezeichnet werden. Eine Situation, die die internationale Gemeinschaft in ein Dilemma bringt, dass der spanische Außenminister mit den Worten zusammenfasst: "Wir können diese Wahlen nicht anerkennen – aber auch nicht ignorieren".
Dabei hatte sich noch im Oktober ein Ausweg aus der Sackgasse angeboten, den die beiden in den Putsch verwickelten honduranischen Parteien aber nicht mitgehen wollten. Nachdem zahlreiche Vermittlungsbemühungen der OAS und des costa-ricanischen Präsidenten Arias gescheitert waren, hatten die USA ziemlich Druck gemacht und es geschafft, alle Konfliktparteien an einen Tisch zu zwingen. Zelaya war zwar nicht persönlich dabei, lies sich bei den Verhandlungen jedoch von seinem ehemaligen Innenminister Victor Meza vertreten. Am Ende trotzte der US-amerikanische Vermittler beiden Seiten die Unterschrift unter das "Abkommen von Tegucigalpa / San Jose" ab. Kernpunkte: 1. Die Wahlen finden am 29. November statt (ohne Zelaya und Micheletti) und werden nicht verschoben. 2. Der Kongress stimmt über die Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt ab - mit der Zielsetzung, dass unter der Leitung von Zelaya und unter Beteiligung aller Parteien eine "Regierung der nationalen Einheit" gebildet wird, die bis zum 27. Januar 2010 – der Amtsübernahme des neuen Präsidenten – den Übergang gestaltet. 3. Zelaya und Co. verzichten auf eine Volksbefragung zum Thema Verfassungsgebende Versammlung. 4. In einer zu bildenden unabhängigen "Wahrheitskommission" wird das, was vor und nach dem 28. Juni 2009 geschehen war, aufgearbeitet.
Als dieser Kompromiss bekanntgegeben wurde, gab es ein großes Aufatmen und (fast) alle schienen zufrieden zu sein. Zelaya würde drei Monate lang wieder Präsident sein können – allerdings mit eingeschränkten Rechten, die Wahlen hätten in einem versöhnlichen Klima stattfinden und von aller Welt anerkannt werden können – und die verfassungs-rechtlich bedenkliche Volksbefragung wäre – zumindest vorerst – vom Tisch gewesen. Und so meldeten auch viele internationale Agenturen den "Durchbruch": Zelaya werde wieder Präsident, wenn auch mit ein-geschränkter Macht und nur für kurze Zeit. Dass der Kongress dem zustimmen werde, sei fest verabredet worden. Aus welchem Grund hätte Victor Meza, Zelayas Unterhändler, dem Kompromiss sonst zustimmen sollen?
Doch es kam anders. Immer wieder verschob der Kongress die Abstimmung über den wichtigsten Punkt des Abkommens von Tegucigalpa/San Jose. Es wurden verschiedene Rechts-gutachten eingeholt – unter anderem vom Obersten Verfassungsgericht, das als besonders korrupt gilt und sich schon durch die Veröffentlichung gefälschter Dokumente zur Recht-fertigung des Putsches negativ hervor-getan hatte.
Nach wochenlanger Verschleppungs-taktik entschied das Parlament erst am 2. Dezember – also nach der Wahl –, dass Zelaya dort bleiben solle, wo er ist: in der brasilianischen Botschaft bzw. im Exil. Für die große Mehrheit der lateinamerikanischen und europäischen Staaten war damit einer der wichtigsten Kernpunkte des Abkommens von Tegucigalpa/San Jose nicht eingehalten worden. Die (eher symbolische) Rückkehr Zelayas und damit die Nivellierung des Putsches hätten das Zugeständnis der beiden in den Staatsstreich verwickelten traditionellen Parteien von Honduras sein sollen – im Gegenzug zu Zelayas Verzicht auf die Volksbefragung, das Akzeptieren von Einschränkungen seiner Macht, der Anerkennung der Wahl vom 29. November, die Beteiligung aller Parteien an der Übergangsregierung und seines definitiven Abgangs am 27. Januar.
Zu Recht fühlte sich Zelaya von der Micheletti-Regierung und deren Anhängern im Parlament hereingelegt. In den Verhandlungen der Rückkehr Zelayas im Prinzip zuzustimmen, dann aber arbeitsteilig vorzugehen und sich später damit herauszureden, dass die Parlamentarier frei und unabhängig und nur ihrem Gewissen gegenüber verpflichtet seien, war einfach "link". Wäre an diesem Kipp-Punkt die internationale Gemeinschaft klar, eindeutig und geschlossen geblieben, wären die Putschisten mit dieser Trickserei nicht durchgekommen. Ohne vollständige Umsetzung des Abkommens von Tegucigalpa/San Jose keine Anerkennung der Wahlen, keine Anerkennung der neuen Regierung, keine Normalisierung der Beziehungen, keine Wiederaufnahme der Verhandlungen von Wirtschaftsabkommen, keine Wiederaufnahme der Ent-wicklungszusammenarbeit! Das hätte die glasklare Antwort der inter-nationalen Gemeinschaft sein müssen. Damit hätten sie die völlig isolierten und finanziell in Bedrängnis geratenen Putschisten zum Einlenken zwingen können.
Doch leider begann die bis dato geschlossene Haltung der internationalen Gemeinschaft zu bröckeln, weil der wichtigste "Player", die USA, sich nicht mehr eindeutig verhielt. Die US-amerikanische Regierung zeigte sich zwar über die Halsstarrigkeit Michelettis und das Votum des honduranischen Parlaments "sehr verärgert", fügte aber achselzuckend hinzu, dass man sich über die Entscheidung eines souveränen Parlaments nicht hinwegsetzen könne. Es folgten zwar weitere Sanktionen – vor allem Reiserestriktionen – gegen Minister der De-facto-Regierung von Micheletti – aber, und das war entscheidend, die Zusage, die Wahlen vom 29.November und deren Ergebnis anerkennen zu wollen.
War die Haltung der OAS bis dahin geschlossen, so tanzten nach den USA nun auch Kanada, Kolumbien, Peru und Costa Rica aus der Reihe. Man verurteile nach wie vor den Putsch und den illegalen Interimspräsidenten Micheletti und dessen Kabinett – aber man müsse nach den Wahlen vom 29. November ein neues Kapitel aufschlagen, Wahlsieger Pepe Lobo eine Chance geben und dürfe das honduranische Volk nicht länger für die Fehler einiger weniger bestrafen.
Die große Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und vor allem die ALBA-Länder, sehen das anders. Pepe Lobo hätte dafür sorgen können, dass die Abgeordneten seiner Nationalen Partei im Kongress für die Rückkehr Zelayas gestimmt und so das Abkommen von Tegucigalpa/San Jose eingehalten hätten. Er und seine Partei seien in den Putsch verwickelt gewesen und dürften dafür nicht belohnt werden. Wenn die Rechnung der Putschisten aufgehe, würde dies möglicherweise Schule machen und auch in anderen lateinamerikanischen Staaten rechte Oligarchen ermutigen, mit Hilfe des Militärs linke Regierungen wegzuputschen. Die Ereignisse in Honduras seien eine Gefahr für die Demokratie in ganz Lateinamerika.
Bezüglich des Zickzack-Kurses der USA gibt es viele Gerüchte. Die einen hegen Verschwörungstheorien eines von Anfang an abgekarteten Spiels mit verteilten Rollen. Die scharfe Verurteilung des Putsches durch Barack Obama sei "gespielte Empörung" gewesen. Tatsächliche behaupten selbst europäische Diplomaten in Tegucigalpa, Angehörige der dortigen US-Botschaft – vermutlich CIA-Mitarbeiter – hätten den Putsch mit vorbereitet.
Es spricht jedoch mehr dafür, dass es in den USA nicht nur zwischen Republikanern und Demokraten, sondern auch innerhalb der Regierung erhebliche Meinungsunterschiede gab und gibt, wie man mit dem kleinen mittelamerikanischen Land umgehen solle.
Zelaya selbst glaubt an die Aufrichtigkeit Obamas und zeigte uns stolz eine Weihnachtskarte, in der ihm Barack und Michelle handschriftlich versichern, dass sie ihn als den rechtmäßigen Präsidenten von Honduras ansehen – jedenfalls bis zum 27. Januar. "Er hat sich allerdings nicht durchsetzen können gegenüber den Falken in seiner eigenen Regierung", kommentiert Zelaya das Verhalten des amerikanischen Präsidenten. Gerade im State Department von Hillary Clinton gebe es noch viele Republikaner, die jede Regierung beargwöhnten, die mit Chavez zusammenarbeite – und für deren Beseitigung ihnen jedes Mittel recht sei.
Die Europäer haben noch immer nicht zu einer einheitlichen Haltung gegenüber den Wahlen und der neuen Regierung von Honduras gefunden. Spanier und Franzosen geben sich gegenüber der Regierung Lobo betont zurückhaltend. "Nicht aus Überzeugung, sondern weil sie es nicht mit der Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten nicht verscherzen wollen", unken deutsche und britische Diplomanten. In der Tat ist es widersprüchlich, dass die Spanier zwar sehr heftig den Putsch kritisiert haben und nach wie vor verurteilen – aber andererseits ganz schnell die Verhandlungen bezüglich des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Ländern Zentralamerikas wieder aufnehmen wollen, das bis zum EU-Lateinamerika-Gipfel im Mai in Madrid unterschriftsreif sein soll.
Und Deutschland? Scheinbar gibt es auch innerhalb der Bundesregierung unterschiedliche Einschätzungen der Lage in Honduras. Während der Bundestagsdebatte zu Honduras argumentierten die Vertreter CDU sehr viel differenzierter als die der FDP, die den Argumenten der Friedrich-Naumann-Stiftung folgten. Die Naumänner hatten – ganz der Propaganda Michelettis folgend – die Ereignisse vom 28. Juni 2009 als "Verteidigung der Demokratie" gerechtfertigt und Putschisten nach Berlin eingeladen, die in den USA mit Einreiseverbot belegt sind.
Nach wie vor veröffentlicht der Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Tegucigalpa, Christian Lüth, dem eine enge Freundschaft zum (rechts)liberalen Präsidentschaftskandi-daten Santos nachgesagt wird, Artikel, in der er die Sichtweise der Putschisten als richtig und die Stellungnahmen der Vereinten Nationen, der OAS und der EU als fehlgeleitet und in die Irre führend bezeichnet. Er kritisiert damit auch die Haltung, die nach dem Putsch die Regierung Merkel/Steinmeier einge-nommen hatte.
Welchen Kurs wird nun die jetzige Bundesregierung einschlagen? Bleibt zu hoffen, dass sie nicht auf die sehr einseitigen Berichte der Naumann-Stiftung hereinfällt. Die ebenfalls in Honduras über den Leiter ihres Büros in Guatemala recherchierende Konrad-Adenauer-Stiftung zeichnet ein anderes, eine differenzierteres Bild von der Lage im Land – obwohl auch die CDU-nahe Stiftung dafür plädiert, Pepe Lobo und seine Regierung jetzt schrittweise anzuerkennen.
In der Tat gibt es ernst zu nehmende Argumente, die dafür sprechen, aus eher pragmatischen Gründen der neuen Regierung jetzt eine Chance zu geben – trotz allem Unrecht, das geschehen ist und in das auch Pepe Lobo und viele seine Minister verstrickt sind. Er hat sich zum Abkommen von Tegucigalpa/San Jose bekannt und verkündet, die darin enthaltene unabhängige Wahrheits-kommission auf den Weg zu bringen – und zwar so, dass auch die "Resistencia" vertreten sein wird und ein externer Moderator die Kommission leitet. Lobo will dafür den ehemaligen chilenischen Präsidenten Lagos gewinnen.
Lobo hat in seine Regierung der "nationalen Einheit", die zwar klar von seiner Partei dominiert wird, auch Vertreter aller anderen Parteien berufen – einschließlich der sozialistischen UD, die Teil der "Resistencia" ist.
Lobo hat Zelaya freies Geleit gewährt, ihn am Tag seiner Amtsübernahme zum Flughafen begleitet und ihn ins vorübergehende Exil, für das sich Zelaya die Dominikanische Republik ausgesucht hat, verabschiedet. Beide einigten sich auf die Sprachregelung, dass sich Zelaya "für eine gewisse Zeit" in der Dominikanischen Republik aufhalten aber eines Tages nach Honduras zurückkehren werde. Den Zeitraum ließen beide freilich offen.
All dieses deutet daraufhin, dass auch Zelaya keine Perspektive mehr darin gesehen hat, weiter in der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa auszuharren und die Welt davon zu überzeugen, die neue Regierung nicht anzuerkennen und durch Boykotte und Sanktionen in die Knie zu zwingen.
Meinem Kollegen Klaus Riegert und mir gegenüber erklärte ein entspannt wirkender Zelaya kurz vor seiner Ausreise in die Dominikanische Republik, dass er unter gewissen Umständen bereit sei, mit der Regierung Lobo zusammenzuarbeiten und sich dafür einzusetzen, dass auch die mit ihm befreundeten Regierungschefs Lateinamerikas die Beziehungen zu Honduras wieder normalisierten. Zu seinen Bedingungen gehörten eine tatsächliche Regierung der nationalen Einheit, in der auch Vertreter des sozialliberalen, Zelaya-treuen Flügels der Liberalen Partei vertreten seien und vor allem ein definitives Ende der Verfolgung von Aktivisten der "Resistencia". Ohne eine wirklich deutlich spürbare Verbesserung der Menschenrechtslage könne es jedoch weder Kooperation noch Normalisierung der Beziehungen geben, meinte Zelaya.
Doch gerade daran, dass die internationale Gemeinschaft ihn und seine Regierung anerkennt und die Beziehungen zu Honduras wieder normalisiert, ist Pepe Lobo brennend interessiert. Wie kann es anders sein, dass er uns – zwei einfachen Abgeordnete aus dem deutschen Bundestag – zum Essen einlädt und uns drei Stunden lang davon zu überzeugen versucht, dass er und seine Regierung dem "christlich-demokratischen Humanismus" verpflichtet seien, soziale Reformen in Angriff nehmen, die schwierige Vergangenheit aufarbeiten und die Menschenrechtslage verbessern wolle. Er versprach, die Reichen durch eine Steuerreform stärker zur Kasse bitten zu wollen, seine Nationale Partei auf christdemokratischen Kurs zu bringen und der Armutsbekämpfung oberste Priorität einzuräumen.
Lippenbekenntnisse? Die meisten Vertreter der Zivilgesellschaft sowie fast alle Menschenrechtsverteidiger nehmen Pepe Lobo die neue Gesinnung nicht ab. Sie haben ihn auch schon anders erlebt. "Der sagt das alles nur, um ausländische Gäste zu beruhigen und die Wasserhähne der internationalen Hilfe wieder aufzudrehen", fasste der Geschäftsführer des Dachverbandes der honduranischen Nichtregierungsorganisationen die Einschätzung der sozialen Bewegungen zusammen.
Und dennoch sind die meisten Nichtregierungsorganisationen zum Schluss gekommen, dass es jetzt am besten sei, Lobo beim Wort zu nehmen – auch wenn sie ihm nicht wirklich trauen.
Sie haben deshalb Mindestanforderungen formuliert, die er erfüllen müsste, bevor sie zu einer Kooperation bereit seien und in einem Versöhnungsprozess mitwirken würden. Und auch in ihrem Forderungskatalog taucht zuallererst eine deutlich spürbare Verbesserung der Menschenrechtslage auf. Sicherlich – man könnte bei der Haltung bleiben, die der harte Kern der "Resistencia" nach wie vor vertritt und die in sich durchaus konsequent und schlüssig ist: Da Lobo zumindest indirekt am Putsch mitgewirkt hat und die Wahl vom 29. November in einem Klima der Repression stattfand, dürften weder er noch seine Regierung anerkannt werden.
Doch da sich fast die Hälfte der Wahlberechtigten – nur unwesentlich weniger als sonst – an der Wahl beteiligt hatte und mit großer Mehrheit Lobo oder Santos, seinen ebenfalls in den Putsch verwickelten Gegenkandidaten von der (rechts)liberalen Partei, gewählt hatte, muss man einfach zur Kenntnis nehmen, dass sich Lobo auf einen nicht kleinen Teil der honduranischen Bevölkerung stützen kann. Ob nun Lobo oder seine Gegner mehr Anhänger haben, lässt sich zur Zeit nicht ergründen. Vieles spricht dafür, dass die Gesellschaft gespalten ist. Die "Resistencia" ist nicht stark genug, um die Regierung Lobo zum Straucheln zu bringen. Aber auch Lobo würde es nicht gelingen, Politik gegen die Hälfte – oder gar etwas mehr als die Hälfte – der Bevölkerung zu machen.
Und schließlich meinen viele Analysten, Lobo hätte die Wahl am 29. November nur deshalb gegen Santos gewonnen, weil der Rechtsliberale offensichtlicher in den von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnten Putsch verwickelt gewesen sei und Lobo erfolgreich auf das neue Images des "Versöhners" gesetzt hätte. Viele meinen, dass die schweigende Mehrheit der Honduraner der Krise und des Streits überdrüssig sei und sich tatsächlich eine "Regierung der nationalen Einheit" wünsche.
Bei dieser Gemengelage und zu diesem Zeitpunkt würde es keinen Sinn machen, wenn die internationale Gemeinschaft die Wahl vom 29. November völlig ignorieren und jede Kooperation mit der Regierung Lobo verweigern würde.
Es wäre aber mindestens genauso falsch, jetzt einfach zur Tagesordnung überzugehen als sei nichts gewesen. Wer jetzt zu schnell wieder alles normalisiert und die Wasserhähne der finanziellen Hilfe voll aufdreht, verhindert möglicherweise Verwirklichung der angekündigten Kompromisse.
Noch ringt die Regierung Lobo um internationale Anerkennung und die Wiederaufnahme der Entwicklungs-zusammenarbeit. Und wer um Anerkennung ringt und überzeugen will, der ist einfacher dazu zu bewegen, Bedingungen zu akzeptieren und Beweise für seine Versprechungen zu liefern. Es wäre fatal, wenn jetzt alle Botschafter im Galopp nach Tegucigalpa zurückkehren, die Verhandlungen bezüglich des Assoziierungsabkommens unverzüglich wieder aufgenommen werden und Kredite und Hilfsprogramme in vollem Umfang wieder fließen würden.
Eine solche Haltung, auf die zumindest einige Akteure in der Europäischen Union und auch in der Bundesregierung dringen, wäre charakterlos und würde die Bekenntnisse zu den Menschen-rechten als Leitfaden europäischer und deutscher Außenpolitik Lügen strafen.
Jetzt gibt es in den Beziehungen zu Honduras ein "window of opportunity", das es zu nutzen gilt: Pepe Lobo muss aufgefordert werden, seinen Worten Taten folgen zu lassen und zu beweisen, dass seine vollmundigen Ankündi-gungen ernst gemeint sind. Aner-kennung und Wiederaufnahme der Zusammenarbeit müssen gekoppelt werden an die Einhaltung ganz konkreter und nachprüfbarer Bedingungen. Dazu müssen die Umsetzung der noch umsetzbaren Vereinbarungen des Abkommens von Tegucigalpa/San Jose gehören und vor allem eine deutlich spürbare Verbesserung der Menschenrechtslage.
Um dies auch überprüfen zu können, ist eine enge Zusammenarbeit der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer mit den honduranischen Menschenrechtsverteidigern, mit Amnesty International und vor allem mit der interamerikanischen Menschen-rechtskommission notwendig.
Wenn das gelingen sollte, wäre die Rechnung der Putschisten eben nicht aufgegangen. Sie hätten zwar Mel Zelaya vorzeitig aus dem Amt gejagt, eine Volksbefragung vorerst verhindert und mit Pepe Lobo einen scheinbar "zuverlässigen" Vertreter der Oligarchie in den Präsidentenpalast gebracht. Aber der wäre gezwungen, auf Druck der internationalen Gemeinschaft sogar mit der linken Opposition zusammen-zuarbeiten, soziale Reformen in Angriff zu nehmen, Licht in die dunkle Vergangenheit zu bringen und vor allem die Menschenrechtslage zu verbessern und damit auch den sozialen Bewegungen mehr Gestaltungsmöglich-keiten zu geben.
Bedingungen, unter denen sich aus mehreren kleinen Parteien, dem sozialliberalen Flügel der Liberalen Parteien und den sozialen Bewegungen ein Bündnis schmieden ließe, dass den beiden etablierten Großparteien bei den Wahlen 2013 Paroli bieten könnte.
Jedenfalls sind viele Honduraner, die bisher als unpolitisch und duldsam galten, aufgewacht. Alle bestätigen, dass in Honduras in den letzten Monaten so viel über Politik diskutiert wurde, wie niemals zuvor. Und viele sind der Meinung, dass die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht länger ignoriert werden kann. "Es ist viel Druck auf dem Kessel. Um soziale Reformen, die die Lage der armen Bevölkerungsmehrheit verbessern, kommt Honduras nicht herum", meint der ehemalige christ-demokratische Kongressabgeordnete Efrain Diaz Arrivillaga, der jetzt für eine NGO tätig ist, die mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) aus Deutschland zusammenarbeitet.
Konnten die beiden von der Oligarchie dominierten etablierten Parteien in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ihre Machtspielchen noch im Verborgenen betreiben – unbehelligt von der internationalen Gemeinschaft –, so hat der Putsch das kleine mittel-amerikanische Land in die Schlagzeilen der Weltpresse gebracht, Mel Zelaya mit seinem Cowboyhut zum Medienstar gemacht, den sozialen Bewegungen Zulauf beschert und in Honduras einen Diskussionsprozess hervorgebracht, der sich nicht mehr mit Gewalt unterdrücken lässt.
Wenn sich die internationale Gemeinschaft jetzt klug und werteorientiert verhält, dann könnte die Zukunft erweisen, dass die Putschisten am 27. Juni 2009 ein Eigentor geschossen haben.