„Weiter so ist keine Option“ - Neue Strategien der Entwicklungszusammenarbeit
Klimawandel, Welternährungskrise, Armut und Finanzkrise: Die deutsche Entwicklungspolitik steht vor Herausforderungen, die nur ressortübergreifend gelöst werden können. Nach einem Jahr schwarz-gelber Regierungsarbeit hatl die Heinrich-Böll-Stiftung auf einer Konferenz das Spannungsfeld nationaler, europäischer und internationaler Entwicklungspolitik kritisch ausgeleuchtet und Reformperspektiven für die Entwicklungszusammenarbeit aufgezeigt. Einer der Referenten war der Bundestagsabgeordnete Thilo Hoppe.
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Eine Zusammenfassung der Ergebnisse von Marina Zapf und Stefan Schaaf
(Quelle: www.boell.de)
International verschieben sich zugleich die Gewichte. Schwellenländer wie China und Brasilien betreiben ihre eigene interessensgeleitete Politik in armen Ländern, private Geber treten in Form weltumspannender Stiftungen als selbstbewusste neue Akteure auf. Die Signale der Gruppe der 20 Industrie- und Schwellenländer (G20) von ihrem Gipfel in Seoul sind besorgniserregend, sagt Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung zur Eröffnung der Konferenz "Weiterdenken! Deutsche Entwicklungspolitik im Spannungsfeld globaler Krisen". Denn Großinvestitionen und Wachstum seien nicht mehr die Lösung, stattdessen verlangten die Krisen nach einem internationalen Rahmen für interdisziplinär entwicklungsorientiertes Regierungshandeln.
"Business as usual ist keine Option"
Die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (MDGs) haben viel erreicht, sagte Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). Die Halbierung der Armut, Reduzierung von Kinder- und Müttersterblichkeit, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und Bildung – "im Trend sind die Ziele in den meisten Ländern erreichbar", so Messner. Die Zahl armer Länder ohne Fortschritte im sozialen Bereich gehe weltweit insgesamt zurück – aber 22 von 34, die hinterherhinken, sind gescheiterte oder Bürgerkriegsstaaten. "Die Entwicklungszusammenarbeit wächst hier mit Governance-Fragen zusammen und muss auf diese Gruppe konzentriert werden", so sein Plädoyer.
Er beschrieb vier Gruppen von Ländern: Zunächst die von Fragilität und Armut geprägten, am Rande des Scheiterns stehenden Staaten (G24 plus X), die von Fall zu Fall unterschiedliche Entwicklungs- und Konfliktlösungsstrategien benötigen. Oft werden die Konflikte durch Rohstoffvorkommen in diesen Ländern noch geschürt. Konfliktvermeidung könnte durch mehr Transparenz bei der Ausbeutung der Ressourcen verhindert werden.
Auch Wachstumsländer in Afrika oder Lateinamerika, die zweite Gruppe, drohen in die Ressourcenfalle zu tappen. Ihr Aufschwung geht mit extremer sozialer Polarisierung einher und hängt vom Export von Energie-, Agrar- und mineralischen Rohstoffen ab. Auch das ist nicht nachhaltig: Die Wachstumsmuster drohen, die Entwicklungsziele in Zukunft wieder zu untergraben.
Die Hälfte der Armen lebt zugleich in den am dynamischsten wachsenden Volkswirtschaften wie Indien und China. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Armut weiter sinke, sagt Messner. Zugleich verfüge diese dritte Gruppe der Schwellenländer (E7-20) nicht über nachhaltige stabile Entwicklungspfade. "Wie kriegen wir fossil getriebene Wachstumspfade umgebogen in klimaverträgliche Wege?" Auch hier gelte: Das MDG-Konzept hat viel erreicht, "aber wir kommen damit nicht an globale Entwicklungsherausforderungen heran."
Diese globalen Aufgaben stellt der DIE-Direktor in einem "Sechseck der Nachhaltigkeit" zusammen:
- Wasser wird in vielen Regionen mittelfristig knapp
- knappe Bodenschätze (sie brauchen Strategien für nachhaltige Nutzung)
- Energie und
- Klimaschutz (das Verhältnis 85/15 fossile/nicht fossile Brennstoffe muss weltweit bis 2050 umgekehrt sein),
- Landnutzung (zur Ernährungssicherung und zum Waldschutz) sowie eine
- Urbanisierung (vor allem in Asien werden bis 2030 drei Milliarden Menschen in die Städte ziehen).
Dies werfe die Frage nach der Fairness und Gerechtigkeit einer globalen Ordnungspolitik auf. Die handlungs- und wirkungsmächtigen Industrie- wie Schwellenländer konzentrierten sich jedoch auf die nationale Entwicklung. Um im Grundmuster der Weltwirtschaft Trends umzukehren, müsse die Entwicklungspolitik den Blick weiten und Klima-, Handels- und klassische Außenpolitiken auf diese Nachhaltigkeitsfragen orientieren, fordert Messner. "Globale Entwicklungsfragen sind so wichtig wie internationale Sicherheit, sie gehen alle Ressorts an."
Organisationsmuster – das globale System ist zu fragmentiert
Der Entwicklungsausschuss der Industriestaatenorganisation OECD (DAC), der die westliche Entwicklungszusammenarbeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Wertekanons überwacht, versucht bereits, Länder wie China, Indien und Brasilien einzubinden. Doch das westliche Gebersystem ist nach Einschätzung des derzeitigen DAC-Vorsitzenden Eckhard Deutscher "ein Auslaufmodell". Das "globale System ist zu fragmentiert", sagte er. Die DAC-Länder unterhielten 280 entwicklungspolitische Agenturen und seien an 260 multilateralen Programmen beteiligt, es gebe 24 Entwicklungsbanken, 40 UN-Einrichtungen oder Abteilungen. Diese Komplexität hinterfrage ein rationales Handeln der Geberländer und überfordere Entwicklungsländer, die – wie Vietnam – 791 Gebermissionen im Jahr bewältigen müssen.
Dass Geberstaaten sich vor Ort unzureichend absprechen und mehr Schaden anrichten als Gutes tun, zeigten zwei Fallstudien aus Kenia und Kambodscha. Kenia, der Wirtschaftsmotor Ostafrikas, wurde vor der auf die Präsidentenwahl 2007 folgenden Gewalt vor allem durch Budgethilfe unterstützt. Danach galt Kenia als Krisenstaat. Geber verfolgen Ziele parallel zu dem fünfjährigen Entwicklungsplan der Regierung in Nairobi, der auch Klimafragen in das Entwicklungskonzept einschließt, aber nur wenig Berührungspunkte zu anderen langfristigen Strategien des kenianischen Staates hat. Gemeinsame Finanzierungen werden seit 2007 kaum genutzt, kenianische Abwicklungsmechanismen wegen Furcht vor Korruption weitgehend ignoriert.
Adam Fforde forderte am Beispiel Kambodscha, wo örtliche "Stakeholder" zu wenig gehört würden, einen Beschwerdemechanismus. Unterschiedliche Ansätze und Schulen der Entwicklungshilfe auf dem "Spielplatz" der Geber mit 800 technischen Beratern, 700 Projekten und 1.000 Steuerungsausschüssen machten Vorhersehbarkeit von Wirkung unmöglich. Auch das deutsche Projekt für Landregistrierung gehe am Bedarf vorbei.
Fazit: Die Entwicklungsindustrie bewegt sich im eigenen Dunstkreis, beschäftigt sich mehr mit sich selbst als auf die Menschen zu hören, denen sie helfen will.
Für viele Entwicklungsländer gewinnen die Wachstumsmodelle Chinas oder Brasiliens (Süd-Süd) an Attraktivität. Da müsse auch Deutschland sich überlegen, wie es den Anschluss an die internationale Diskussion finden wolle, empfiehlt Deutscher. Er gab ein vehementes Plädoyer für multilateral gebündelte Entwicklungshilfe ab. "Es ist eine Lebenslüge, dass Entwicklungspolitik re-nationalisiert werden könnte", sagte er mit einem Seitenhieb auf den Trend unter Bundesminister Dirk Niebel (FDP). Seine Empfehlungen: Aufräumen mit dem Relikt einzelstaatlicher Politiken, eine europäische Entwicklungsbank, die Finanzhilfen bündelt, Finanzierungspakete mehrerer Mitgliedsstaaten, konsequentere Arbeitsteilung der EU-Länder.
Dass die europäische Zersplitterung sich bei der deutschen Entwicklungshilfe fortsetzt, hat der DAC-Ausschuss auch in seinem jüngsten Länderbericht moniert. Dort wird zwar die Fusion der Ausführungsorganisationen GTZ, InWent und DED gelobt – auch wenn die Finanzierungssäule (KfW) außen vor bleibe. Aber dass die Ministerien für Entwicklung, Energie, Umwelt und Landwirtschaft bei der Bewältigung des o.g. Politik-Hexagons in Parallelwelten leben und institutionelles Selbstinteresse dominiert, wird kritisiert. Die Bundesregierung sollte jährlich Bericht erstatten, wie und wo sie politische Kohärenz herstellt, so Deutscher.
Finanzierung globaler Aufgaben
Wo die Bundesministerien für Entwicklung und Umwelt sich um die Verwaltung von einer Milliarde Euro aus dem Erlös von Emissionszertifikaten streiten, liegt auch das internationale Zusammenspiel bei den Finanzhilfen für die vorbeugende Anpassung an den Klimawandel (adaptation) und die Bewältigung seiner Folgen (mitigation) im Argen. Liane Schalatek, Spezialistin für Klimafinanzierungsfragen und stellvertretende Leiterin des Böll-Büros in Washington, skizzierte ihre Vorstellung von einer effizienten und fairen Verteilungsarchitektur (http://climatequity.org). "Wir müssen die Fragmentierung und Proliferation von Klimafonds überwinden", so Schalatek. Für eine sinnvolle Arbeitsteilung und Verteilung der Mittel fordert die Heinrich-Böll-Stiftung ein "Global Public Climate Finance Framework": Das UN-Sekretariat für Klimawandel (UNFCCC) sollte den Hut aufhaben, klare Prinzipien erstellen – etwa gegen Subventionen für fossile Energien, Atomkraft oder Energiepflanzen, und für Menschenrechte, für Wasser und Lebensmittelproduktion – sowie entsprechende Leitlinien für alle bi- und multilateralen Klimafonds formulieren. Verbindliche Regeln und Kriterien sollen politische Kohärenz und Transparenz herstellen. Aber es fehlt auch ein verbindliches Format für Berichte zur Rechenschaftslegung. Eine Übersicht über existierende Fonds gibt die von der Böll-Stiftung und dem britischen Institut ODI entwickelte Website climatefundsupdate.org.
Für die finanzielle Abwicklung der theoretisch beim Klimagipfel von Kopenhagen zugesagten 100 Mrd. Dollar jährlich bis 2020 haben die G20 IWF und Weltbank einen Blankoscheck ausgestellt. Die verlassen sich zunächst auf die Generierung der meisten Mittel durch den weltweiten Markt von CO2-Zertifikaten, wobei die Weltbank immerhin ein eigenes Klima-Portfolio angelegt hat. Was bisher an Mitteln fließt, speist vor allem Klimainvestitionsfonds – laut Schalatek ein Signal, dass die Industrieländer sich bei den Kosten für die Anpassung zurückhalten. Bhumika Muchhala vom Third World Network plädierte dafür, die wegen des Dollarverfalls derzeit kurzfristig und spekulativ in Schwellenländer strömenden hunderten Milliarden von US-Dollar mit einer Finanztransaktionssteuer zu belegen. Doch die hat international derzeit keine Perspektive.
Der IWF soll Entwicklungsländern, die noch unter der weltweiten Finanzkrise oder den Auswirkungen der Nahrungsmittelkrise leiden, finanzielle Unterstützung leisten. Nur sechs Prozent seiner Krisenspritzen gehen aber an wirklich arme Länder. Zudem kritisiert das Third World Network, dass der IWF mit seinen Auflagen die Liquidität in den notleidenden Ländern abwürge. Weiter werde zu viel Gewicht auf makroökonomische Stabilität und Haushaltsdisziplin gelegt, statt die Zinsen zu senken, und eine expansive Politik zugunsten produktiver Investitionen zuzulassen. Generell sei zu kritisieren, dass der IWF zur Krisenbewältigung zuvorderst Darlehen statt Zuschüsse vergebe.
Helfer aus dem Süden – die neuen Akteure
Entwicklungszusammenarbeit findet längst nicht mehr nur zwischen den Industrieländern des Nordens und Entwicklungsländern im Süden statt. Schwellenländer wie China oder Brasilien haben in den vergangenen fünf bis zehn Jahren ihr Engagement, den Handel und Investitionen intensiviert. Claude Kabemba, Direktor der Organisation Southern Africa Resource Watch, beschrieb die Rolle Chinas aus einer afrikanischen Perspektive. Er werde sich nicht am üblichen Einprügeln auf China beteiligen, sagte er zu der häufig geäußerten Kritik, China beute eher eigennützig die Rohstoffe des Kontinents aus und erwerbe sich mit Infrastrukturprojekten gezielt das Wohlwollen afrikanischer Regierungen. Diese Projekte werden von China schlüsselfertig erstellt, lokale Mitarbeit ist in der Regel nicht vorgesehen. China könne hilfreich für den Kontinent sein, falls Afrika seine Chancen in dieser Kooperation nutze, meinte Kabemba. Aber vielen Regierungen in Afrika fehle selbst eine klare Entwicklungsstrategie für ihr Land. Zu bereitwillig gingen sie auf chinesische Projektangebote ein.
China verfolge eine andere Strategie als der Westen: Demokratisierung als Voraussetzung von Entwicklung anzusehen, sei in den Augen seiner Führung falsch. Somit gibt es auch wenige Berührungsängste mit Diktaturen wie im Sudan oder Zimbabwe. China und chinesische Unternehmen könne man auf diesem Feld nicht härter kritisieren als westliche oder südafrikanische Firmen, sagte Kabemba. Er kritisierte, dass Afrika sich nicht auf klare Regeln für Investitionen einige und dem Export chinesischer Arbeitskräfte nach Afrika keinen Riegel vorschiebe.
Ein zweites Beispiel ist Brasilien. Das Land begreife sich mittlerweile als "Weltmacht ohne Feinde", die auch in globalen Konflikten wie dem zwischen Israel und Iran vermitteln wolle, sagte Thomas Fatheuer, der lange das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Brasilien leitete. Bei seinem Streben nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat suche Brasilien Unterstützer, was oft mit einem Verzicht auf Kritik an undemokratischen Regierungen einhergeht. Brasilien verzichtet darauf, Begriffe wie "Entwicklungshilfe" für sein Engagement zu verwenden, es spricht stets nur von "Kooperation".
Der Kampf gegen die Armut, den Präsident Lula führte, soll auch in andere Länder getragen werden. Sie sollen durch den Anbau von Biosprit-Pflanzen Wachstum schaffen sowie ihre Abhängigkeit von Ölimporten verringern, außerdem will Brasilien als zweitgrößter Produzent der Welt einen globalen Markt für Ethanol schaffen. Dies ist nicht unumstritten: NGOs wie Friends of the Earth werfen Brasilien "land grabbing" in Afrika vor.
Brasilien bemüht sich um eine politische und wirtschaftliche Integration des südamerikanischen Kontinents. Der Handel mit Südamerika und Asien ist mittlerweile umfangreicher als der mit Europa oder den USA. Auch in Afrika ist Brasilien wirtschaftlich engagiert, die Exporte dorthin haben sich in zehn Jahren verachtfacht. Sogar die brasilianische Kultur ist in Afrika ein Hit: Die Musik der "Banda Calypso" aus Belem ist in Mozambique und Angola äußerst populär.
Brasiliens Entwicklungsbank BNDES ist die zweitgrößte der Welt und hat sich das Ziel gesetzt, in den nächsten drei Jahren 220 Mrd. Dollar zu investieren – ein guter Teil davon in die Ausbeutung der neu entdeckten Ölfelder vor Brasiliens Küste. Inzwischen wird auch die BNDES von brasilianischen NGOs kritisch beobachtet.
Neue Ideen und neue Geber
Stephen Lintner, ein langjähriger Umweltschutzexperte bei der Weltbank, beschrieb den Lernprozess seines Arbeitgebers in den letzten beiden Jahrzehnten. Die Weltbank spiele heute eine führende Rolle bei den Bemühungen um Klimaschutz und die Anpassung an die globale Erwärmung, sie ziehe zunehmend soziale Aspekte bei ihren Projekten mit in Betracht.
Die globalen politischen Strukturen und wirtschaftlichen Beziehungen wandelten sich rapide, erläuterte er. Nicht mehr nur die UN-Unterorganisationen, der Internationale Währungsfonds, die multilateralen Entwicklungsbanken, der OPEC-Fonds oder die staatlichen Entwicklungsorganisationen wie KfW oder GTZ seien wichtig, sondern nun auch Schwellenländer oder die Regierungen von Entwicklungsländern selbst. Dazu brächten innovative NGOs oder Stiftungen viele neue Ideen. Es gebe Süd-Süd- und Ost-Süd-Kooperation, es gebe die für viele Länder sehr wichtigen Rücküberweisungen, Investitionen von Pensionsfonds und große Summen Schwarzgeld. Diese sehr diverse Geberwelt bringe frische Ideen, sei aber schwer zu koordinieren oder auf eine nachhaltige Entwicklung zu verpflichten.
Wie gelingt es, Gesellschaften zu befähigen, mit den Herausforderungen durch den Klimawandel umzugehen und dabei Natur und Biodiversität zu bewahren? So etwa formuliert die Organisation Conservation International (CI) die zentralen Fragen ihrer Arbeit. CI war in den vergangenen 23 Jahren sehr erfolgreich beim Schutz von etwa zwei Millionen Quadratkilometern Biodiversitäts-Hotspots – das ist ein Streifen von 50 Kilometern Breite einmal um den Äquator gelegt. "Das klingt wie ein Erfolg, aber wir sind dabei, den Kampf zu verlieren, sagte CI-Exekutivdirektor Peter Seligmann. Er benannte die Herausforderungen: Eine Weltbevölkerung, die von heute 6,9 Milliarden Menschen bis 2050 auf 9,2 Milliarden wachsen wird. Ein Tempo des Klimawandels, das zu raschem Handeln zwinge. Ein rapides Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. Eine sich bis 2050 global verdreifachende Mittelklasse werde den Bedarf an Wasser, an Energie und an Nahrungsmitteln verdoppeln. "Eigentlich bräuchten wir dafür noch zwei weitere Planeten Erde", sagte er.
Der Kampf gegen die globale Erwärmung erfordere in der Entwicklungspolitik neue Denkweisen und neue Strategien. Es brauche konkrete Ideen, die funktionieren, und die deshalb das Potential haben, für Individuen wie ganze Nationen ansteckend zu sein. Viele Regierungen, Wissenschaftler/innen und Studenten/innen suchten nach diesen Ideen. Grundlage sei die Erkenntnis, dass menschliches Wohlergehen von funktionierenden Ökosystemen und Biodiversität abhänge. Das sei auch für moderne Organisationen wie die Bill und Melinda Gates-Foundation ein Lernprozess gewesen. Wenn man solche Organisationen oder einen Handelskonzern wie Wal-Mart zum Umdenken bringe, ermögliche man Wandel zum Positiven im großen Maßstab. Seligmann nannte ein Beispiel für solches Umdenken hin zu einer grünen Wirtschaftsweise aus Costa Rica: Dort erkannte der Umweltminister, dass man nicht die Natur als Selbstzweck unter Schutz stellen könne. Viel sinnvoller sei es, den Bauern in den Flusstälern deutlich zu machen, dass ihre Feldarbeit von den Wäldern und Wasserquellen in den Bergen abhängt, sie also ein vitales Interesse an deren Erhalt haben und dafür auch eine Kompensation zahlen müssten. So wurde ein Bezahlmodus für die Leistungen des Ökosystems entwickelt. Jede Regierung auf der Welt müsse Lösungen für die Umwelt-Herausforderungen in ihrem Land finden. Wenn dies gelinge, müsse sie mit gutem Beispiel andere zur Nachahmung bringen. Es gebe Länder wie Costa Rica oder Ecuador mit seinem Programm zur Walderhaltung "Socio Bosque" und bald auch "Socio Mare", die dabei führend seien. CI lud vor fünf Jahren den Vorsitzenden des chinesischen Volkskomitees für Umweltfragen ein, das Bezahlmodell in Costa Rica kennenzulernen. Inzwischen investiert das chinesische Planungsministerium jährlich mehrere Milliarden Dollar in vergleichbare Systeme in seinem Land.
Reformbilanz gelb-schwarzer Entwicklungspolitik und Perspektiven für vernetztes Regierungshandeln
"Ein Jahr Dirk Niebel heißt ein Jahr Rugby im Porzellanladen und Abschied von Entwicklungszusammenarbeit, die ihren Anteil an gerechter Globalisierung leisten will". Mit diesem Satz vom jüngsten Parteitag der Grünen in Freiburg gab Thilo Hoppe, langjähriger Vorsitzender im Entwicklungsausschuss des Bundestags, den Ton für die Diskussion der bisherigen Reformbilanz von Schwarz-Gelb vor. Jenseits dieser schmunzelnd vorgetragenen Polemik bemängelte Hoppe vor allem eine fehlgeleitete Politik in Kolumbien, Honduras und Afghanistan. Niebels mittelfristige Finanzplanung bedeute de facto die Verabschiedung von dem Ziel, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben, obwohl die Regierung ohne Grundlage immer wieder das Gegenteil beteuert. Mit einer Flucht in die Qualitätsdebatte – mehr Wirkung mit weniger Geld – lenke sie davon ab. Viel Vertrauen bei den Klimaverhandlungen verspiele sie mit der Streichung eines kleinen Betrags von 70 Mio. Euro für Klimapolitik. Mehr noch: Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz würden gegeneinander ausgespielt.
In die richtige Richtung gehen Hoppe zufolge die Reform der Vorfeldorganisationen und die Aufwertung der ländlichen Entwicklung mit dem Ziel Ernährungssicherheit zu fördern. Doch scheue sich das Ministerium zugleich, ein Leitbild zu geben, wie dem besorgniserregenden Trend der Landnahme in armen Ländern durch Großinvestoren zu begegnen sei. Die ungute Verzahnung von Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungszusammenarbeit führe zu krassen Mitnahmeeffekten. "Aufträge zuschustern geht nur bilateral", kritisierte Hoppe den Trend zur Rückführung der multilateralen Hilfe. So werde Deutschland sich international nur weiter isolieren.
Hermes und die Frage der Kohärenz
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit verstärkt ihr entwicklungspolitisches Engagement für Kleinbauern in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Das Ministerium für Landwirtschaft fördert gleichzeitig Exporte der deutschen Agrarwirtschaft, etwa die Ausfuhr von subventionierten Milchprodukten – eine klassische Kohärenzsünde. Auf ähnliche Weise unterläuft die deutsche Außenwirtschaftsförderung durch die sogenannten Hermes-Bürgschaften immer wieder Umwelt- und Klimaziele der Bundesregierung. Wie kann hier für Kohärenz zwischen Wirtschaftsinteressen und den politischen Zielen des Klimaschutzes und der Armutsreduzierung gesorgt werden? Darüber stritten Kritiker und Befürworter der bestehenden deutschen Exportförderung. Hans-Joachim Henckel vom Bundeswirtschaftsministerium sagte, Hermes-Bürgschaften seien nachfragegesteuert, was die staatlichen Lenkungsmöglichkeiten beschränke. Sie kämen vor allem auf schwierigen Märkten zum Einsatz, für die keine privaten Ausfallversicherungen angeboten werden, ergänzte Doris Witteler-Stiepelmann vom BMZ. Hauptnutznießer der Hermes-Bürgschaften seien mittelständische Unternehmen. Beide hielten die geltenden Regelungen und die Kontrolle der Anträge für ausreichend und wiesen auf die Gefahr hin, dass bei einer Ablehnung durch die deutsche Regierung ein anderes Land mit weniger Skrupeln den Auftrag erhalte. Skeptisch wurde Henkels Aussage aufgenommen, dass Deutschland mit seinen 82 Millionen Einwohnern gar nicht genug Macht habe, um Standards zu setzen.
Kritiker/innen wie Regine Richter von der Hermesreformkampagne von Urgewald e.V. attestierten der deutschen Politik der letzten zehn Jahre Fortschritte. Es gebe mehr Prüfungen und mehr Transparenz nach außen. Sehr kritisch sah sie, dass das lange geltende Verbot der Exportförderung von Atomtechnologie im schwarz-gelben Koalitionsvertrag aufgehoben wurde. Schon im Februar wurde eine Bürgschaft über 1,3 Milliarden Euro für ein aus verschiedenen Gründen problematisches AKW-Projekt in Brasilien erteilt. Nur eines der Probleme ist die mangelhafte Zusammenarbeit der brasilianischen Regierung mit der IAEO. Hoffnung setzt sie auf die Überarbeitung der Umweltleitlinien der OECD, an denen sich auch Hermeskredite orientieren müssen, und die auch Menschenrechtsfragen einschließen sollen.
Böll-Stiftung für radikale Trendumkehr mit Blick auf Rio+20 2012 und darüber hinaus
"Wir brauchen eine radikale Trendumkehr", wenn das Zwei-Grad-Ziel maximaler mittlerer Erderwärmung erreicht, die Armut halbiert, und weitere Krisen um Wasser und andere Ressourcen vermieden werden sollen, forderte Barbara Unmüßig. Dies heiße: "raus aus sektoral fragmentierten Denken" und hin zu einem "360-Grad-Blick", also mehr internationale Kooperation statt Fragmentierung und darüber hinaus Reduktion von Komplexität und mehr Kohärenz. Die Grünen sollten den Gipfel Rio+20 (2012) und die Debatte um die Zeit nach der MDG-Frist 2015 nutzen, um Strukturreformen auf globaler Ebene nach vorne zu bringen, so Unmüßigs Plädoyer.
Eine interdisziplinäre Antwort auf bevorstehende Krisen, die auch Rücksicht auf Gerechtigkeit, Menschenrechte und die Natur nehme, erfordere zweitens - analog zum Klimasekretariat - ein "International Panel on Systemic Risks in the Global Economy". Vordenker hierfür sei die 2008 von der UN eingesetzte Stiglitz-Kommission. Als Messlatte für Regierungen sollte der vom Washingtoner Center for Global Development (CGD) entwickelte "Commitment to Development Index" erweitert werden. Denn er prüfe in bisher beispielloser Art den internationalen Beitrag im Sinne von menschlicher Entwicklung.
Auf EU-Ebene sollte dem Umkehr-Katalog zufolge alle zwei Jahre ein Bericht über die Folgeabschätzung von Agrar-, Fischerei- und Handelspolitik bezogen auf die Zielkohärenz der Entwicklungszusammenarbeit erstellt werden. An einer stärkeren Europäisierung der Entwicklungszusammenarbeit führe kein Weg vorbei. Wichtig dabei sei jedoch, dass sie stärker dem Gebot von Fairness und Gerechtigkeit – sowie dem erstmals im Lissabon-Vertrag verankerten Kohärenzgebot verpflichtet ist. Zu dessen Überwachung sollte überdies ein ständiger Berichterstatter eingesetzt werden, ergänzt durch ein Beschwerdeverfahren aus den Partnerländern – nach dem Modell des "inspection panel" der Weltbank. Analog müsse dies für die Bundesregierung gelten, in der die Zuständigkeiten zersplittert seien und nicht einmal zwischen den Ressorts für Entwicklung und Umwelt ein Strategiepapier zur Frage der Klimafinanzierung vorhanden sei. Wünschenswert nannte Unmüßig ein Bundesministerium für globale Aufgaben – eine Forderung (oder vielleicht besser Idee?!), die im Verlauf der Konferenz zwar willkommen aufgenommen wurde, jedoch bei den Mandatsträgern politischer Ämter auf Skepsis in Bezug auf die Umsetzung stieß.
Auch das Entwicklungsministerium (BMZ) will neue Wege gehen
Friedrich Kitschelt, Abteilungsleiter für Afrika und Globales im BMZ, verteidigte den neuen Diskurs über die Wirksamkeit von Entwicklungshilfe. Wenn der Weltgesundheitsbehörde zufolge bis zu 40 Prozent der Mittel für Gesundheit besonders in armen Ländern verloren gingen, weil die Systeme undurchsichtig und ineffizient seien, "darf uns das nicht egal sein". Um deutsche Entwicklungspolitik wirksam aus einem Guss zu machen, würden über die Fusion der Durchführungsorganisationen zur Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hinaus deutsche Häuser im Ausland künftig auch stärker die finanzielle Zusammenarbeit durch die KfW einbinden.
Nach 50 Jahren des "Input-orientierten" Ansatzes – wonach in der Hoffnung Geld gegeben wurde, dass durch Zutun von Eliten und Zivilgesellschaft Entwicklungsprozesse nach europäischem Muster in Gang gesetzt werden können – konstatiert auch das BMZ nüchtern ein "getrübtes Bild". Fehlende Erfolge schürten Fragen nach der Legitimation. Kitschelt kündigte an, dass das BMZ das von US-Entwicklungsexpert/innen (u.a. Nancy Birdsall) angestoßene Modell von "aid on delivery" aufgreifen und "radikal neue Wege gehen" werde. Zunächst geplant seien drei Pilotvorhaben ab 2011 für eine zweijährige Lernphase. Das Prinzip: Zwischen Geber und Empfänger werden Wirkungsziele vereinbart und festgelegt, welche Leistungen gemäß der nationalen Entwicklungsstrategie dahin führen. Am Ende wird unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft geprüft und bezahlt. "Das ist wirkungsorientierte ex-post-Budgethilfe", so Kitschelt, die über die Einbindung nationaler NGOs darüber hinaus auch noch Demokratie fördernd wirkt.
Ausdrücklich hielt Kitschelt an dem Ausgabenziel von 0,7 Prozent fest, auch wenn dieses planwirtschaftlich entstanden und weitgehend symbolisch sei. Zum Spannungsbogen zwischen zwischenstaatlicher (bilateraler) und international gebündelter (multilateraler) Hilfe betonte Kitschelt, internationale Zusagen würden durch stabile Beiträge an die Weltbank oder den Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) erfüllt. Weder sei "multilateral" eine Zauberformel noch "bilaterale" Hilfe ein prozentuales Dogma. Für Letztere spreche aber etwa, dass der GFATM keine nationalen Gesundheitssysteme aufbaue, und multilaterale Institutionen weder eigene Durchführungsorganisationen hätten noch bei föderalen Lösungen Pate stehen könnten, wie es etwa Deutschland in Kenia tut.
Ob Budgethilfe nur in gebündelter Form politischen Einfluss auf ein entwicklungsorientiertes Handeln von Regierungen gewährt, blieb in der Diskussion umstritten. Kitschelt verneinte, dass die neue Rohstoffstrategie der Bundesregierung sich durch Entwicklungshilfe Ressourcen sichern wolle. Vielmehr setze diese auf Wertschöpfung im Land selbst.
Kitschelt betonte zudem die Position des BMZ, dass öffentlich-private Partnerschaften (PPP) mit Unternehmen in Entwicklungsländern keine Investitionshilfen seien, sondern mit 193.000 Euro gedeckelte Zuschüsse für zusätzliche Leistung, wie Ausbildung oder ähnliches. Im Sinne des Konferenzthemas "Weiterdenken" will das Ministerium den Fortschritt ausgewählter Projekte bald auf seiner Website abbilden – und durch Abstimmung durch die Öffentlichkeit ermitteln lassen, welches davon aufgestockt werden solle.
Europa kann Hoffnung auf Bündelung nicht erfüllen
Den Hoffnungen, die fragmentierten Entwicklungspolitiken einzelner Mitgliedsstaaten in einem europäischen Ganzen zu bündeln, steht in Brüssel ein recht desolates Bild gegenüber. Zwar hat der Reformvertrag von Lissabon die Senkung der Armut zu einer Priorität erhoben, doch das Profil europäischer Entwicklungspolitik krankt an mangelndem politischem Willen der Regierungen. Zugleich läuft die Neuorganisation des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) vermutlich auf eine Schwächung von Entwicklungskommissar Andris Piebalgs hinaus, wie die Diskussionsbeiträge von Ollivier Bodin, dem Zuständigen für Kohärenz in der Generaldirektion Entwicklung der EU-Kommission, und Mikaela Gavas vom Overseas Development Institute (ODI) zeigten.
Die EU ist mit jährlich 50 Mrd. Euro – davon 12 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt – der weltweit größte Geber für Entwicklungshilfe. Der EAD hat den Auftrag, Entwicklungspolitik zu betreiben und Europa als Akteur zu stärken. Zwar ist die Generaldirektion (GD) Entwicklung unter Piebalgs in der Ausformulierung von Politik gestärkt und unabhängiger von europäischer Außen-, Fischerei- oder Handelspolitik, so Bodin. Zugleich wandern aber zwei Drittel des bisherigen Planungsstabs des Kommissars in den EAD, die Beziehungen zu den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) sind der GD Außenbeziehungen unterstellt. Durchsetzungskraft hat die Entwicklungspolitik somit nur, wenn sie – durch starken politischen Input der Mitgliedsstaaten – klare Ziele definiert, so der Tenor der Vortragenden. Das ODI wies darauf hin, dass der EAD gemäß Artikel 208 des Lissabon-Vertrags verpflichtet ist, Kohärenz in entwicklungspolitischen Fragen herzustellen. Das sei ein klares Mandat und schaffe Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europaparlament, betonte Gavas.
Eine effektive Umsetzung im Zusammenspiel der Entwicklungspolitiker mit der GD Außenbeziehungen (Relex) und dem EAD bleibe das große Fragezeichen, so die Grünen-Europaabgeordnete Franziska Brantner. Eine entwicklungspolitische Prägung werde stark von der Zusammenarbeit zwischen Piebalgs und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton abhängen. Da auch im Europaparlament die Ausschüsse ressorttypisch aufgestellt sind, sind dessen Kontrollfähigkeiten hinsichtlich einer größeren Kohärenz begrenzt, so das Fazit. Arbeitsgruppen der Fraktionen und Stellungnahmen der Sekretariate sind ein Versuch, Einzelpolitiken quer zu verzahnen. Folgenabschätzungen pro Land und Bevölkerungsgruppe bleiben aber die Ausnahme.
Quo vadis?
Den Versuch einer Bilanz der vielschichtigen Debatten wagten in der Finalrunde am Nachmittag Barbara Unmüßig, die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ute Koczy, Jürgen Zattler vom BMZ, Adam Fforde und Jens Martens vom Global Policy Forum in Bonn. Martens schaffte es, seine Quintessenz in fünf Punkten zu verdichten:
- Entwicklungspolitik kann nicht mehr Politik des Nordens für den Süden sein, es geht um global relevante Fragen.
- Entwicklungspolitik braucht eine neue Sprache und neue Begriffe jenseits von Entwicklung und Hilfe, von Gebern und Nehmern. Später verwies er noch auf das in Ecuador entwickelte Konzept des "buen vivir", des guten Lebens, als Beispiel für ein anderes Konzept von Entwicklungsorientierung.
- Die Beziehungen müssen neu definiert werden, wir müssen uns neue Formen der Kooperation überlegen.
- Das Ziel, 0,7 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe auszugeben, ist obsolet, wir brauchen einen neu benannten Begründungszusammenhang. Die Einhaltung von Menschenrechten und das Prinzip "do no harm" sollten wir zur Messlatte für Politik machen. Die Erreichung der MDGs und die entstehenden Klimakosten werden eher mehr als 0,7 Prozent kosten.
- Kohärenz der deutschen Politik in Bezug auf die Entwicklungsziele zu erreichen, erfordert einen institutionellen Rahmen auf Bundesebene.
Ute Koczy wollte an dem Ziel der 0,7 Prozent festhalten, da andernfalls die Glaubwürdigkeit von Industrieländern wie Deutschland gefährdet sei. Statt ein neues Ministerium zu gründen, würde sie lieber das Auswärtige Amt dazu bringen, globale Fragen zukunftsgerichtet und kreativ anzugehen.
Jürgen Zattler demonstrierte, dass im BMZ neues Denken Fuß fasst. Den Grundsatz "do no harm" findet er als Leitlinie richtig. Er betonte, wie wichtig es ist, positive Entwicklungen zu unterstützen, etwa, wenn Staaten erstmals Steuersysteme aufbauen, um ihren Staat auf eigene finanzielle Füße zu stellen. Adam Fforde versuchte erneut, seine grundlegend skeptische Haltung gegenüber herkömmlicher Entwicklungshilfe zu vermitteln. Man müsse genau hinhören, was die Betroffenen wollen, aber dies zu tun, überfordere die bestehenden Strukturen der Entwicklungszusammenarbeit. Diese denke auch in zu kurzen Zeiträumen, man brauche nicht fünf, sondern 20 Jahre, um Wirkungen von Entwicklungsprozessen bewerten zu können. Der Klimawandel mache allerdings rasche Veränderungen der Wirtschaftsweise notwendig, wandte Barbara Unmüßig ein.
Sie fand es auffällig, dass deutsche NGOs so wenig versuchen, Einfluss auf die Entstehung des Europäischen Außendienstes zu nehmen. Martens verwies auf europäische NGO-Netzwerke wie Eurostep oder Concorde, die in Brüssel ihren Einfluss sehr wohl geltend gemacht hätten. Aber auch er wünschte sich mehr Aufmerksamkeit für die Europäisierung der Entwicklungspolitik. Es gebe im Europäischen Parlament zumindest eine Tendenz zu transdisziplinärer Arbeit, sagte Martens, so öffnen die Ausschüsse ihre Sitzungen für Mitglieder anderer Ausschüsse.
In der Debatte wurde von Roger Peltzer von der BAG Nord-Süd der Grünen die Frage aufgeworfen, welche Zukunft ein BMZ hat, das sich nur an den Millennium Development Goals (MDGs) orientiert. Dann werde das BMZ in 15 Jahren ein Ministerium für nur noch 30 oder 40 Länder sein – auch ein Grund, warum es dort kein "weiter so" geben dürfe. Martens hielt dem entgegen, dass die in absoluter Armut lebenden Menschen auf sehr viel mehr Länder verteilt sind und die größte Zahl in China, Indien und Indonesien leben. Ute Koczy ergänzte, dass die MDGs kein Selbstzweck seien, sondern eine Zielvorgabe, da trotz Arbeit an der Umsetzung der MDGs immer noch eine Milliarde Menschen von der Entwicklungszusammenarbeit nicht erreicht werden.