Entwicklungsarbeit effizienter machen
Zur Abschlusserklärung der Konferenz in Accra
Am 4. September 2008 ging in der ghanaischen Hauptstadt Accra die internationalen Konferenz zur Wirksamkeit der Entwicklungshilfe zu Ende. Rund 1200 Delegierte aus mehr als 100 Ländern diskutierten über Reformen, die notwendig sind, um der Erreichung der Millenniumsziele – allen voran der Halbierung der Zahl der extrem Armen und Hungernden bis zum Jahr 2015 – wenigstens nahe zu kommen. Die Schlusserklärung der Konferenz macht deutlich, dass noch viele Schritte auf dem Weg zu einer effizienteren Zusammenarbeit gemacht werden müssen. Die Kernbotschaften der "Accra Agenda of Action" lauten:
- mehr Transparenz in der Entwicklungszusammenarbeit,
- gegenseitige Rechenschaftspflicht aller Akteure,
- stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Parlamente,
- längerfristige und zuverlässigere finanzielle Zusagen,
- bessere Arbeitsteilung und Abstimmung unter den Gebern
- mehr Gewicht auf den Aufbau und die Nutzung leistungsfähiger und korruptionsfreier staatlicher Institutionen in den Entwicklungsländern.
Zur deutschen Delegation, die von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (rechts im Bild) geleitet wurde, gehörte auch Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen, links im Bild), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Bereits 2005 fand eine ähnliche Konferenz in Frankreich statt, die in der "Paris Declaration" endete. In ihr versprachen vor allem die Gebernationen bessere Zusammenarbeit, Abstimmung und Arbeitsteilung. Sie folgten damit der Erkenntnis, dass nicht jeder alles machen muss. Durch ein koordiniertes Vorgehen der Geber sollten u.a. die Verwaltungsstrukturen der Entwicklungsländer entlastet werden, statt weiterhin mit einer unüberschaubaren Vielzahl von Missionen, Durchführungsorganisationen und Projekten überfordert zu werden. So sind zum Beispiel in Tansania mehr als 30 Länder und internationale Organisationen in der Entwicklungshilfe tätig, die oft nebeneinander her arbeiten. Mit ihren jeweils eigenen Verhandlungs-, Berichtswesen- und Rechnungsprüfungsanforderungen binden sie enorme Kapazitäten in der ohnehin noch schwach entwickelten Verwaltung Tansanias. Oft werden von den Gebern in den Zielländern auch Parallelstrukturen aufgebaut – an den dortigen Regierungen und Parlamenten vorbei. Dadurch geht die Übersicht verloren, wer, wo, was, wie "entwickelt".
Die "Paris Declaration" enthielt nicht nur die Forderung nach mehr Abstimmung und Arbeitsteilung. Man einigte sich auch darauf, nicht mehr nur einzelne Projekte zu fördern, die meist nur punktuell wirken, sondern die Projektarbeit mit neuen Formen der gemeinschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit wie etwa der Budgethilfe zu kombinieren. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich die Repräsentanten von fünf Gebernationen in einem Zielland der Entwicklungszusammenarbeit mit der dortigen Regierung an einen Tisch setzen und über Entwicklungsziele im Gesundheitsbereich reden. Kommt man zu einem Ergebnis, zahlen die fünf Gebernationen alle in den Gesundheitsetat des Ziellandes ein, um strukturelle Entwicklungserfolge anzustreben und nicht mehr – wie bisher – überall "eigene", nur den Prinzipien der jeweiligen Geberländer entsprechende Krankenhäuser hochzuziehen, die nicht mit dem Gesundheitssystem des Partnerlandes verzahnt sind.
In der "Paris Declaration" wird gefordert, nationale Egoismen und Sonderwege zumindest teilweise zu überwinden und mindestens 50 Prozent der Entwicklungshilfe möglichst gemeinschaftlich über die Strukturen und den Haushalt der Zielländer abzuwickeln. Nach langem Tauziehen ist nun auf der Konferenz in Accra dieses Ziel bestätigt und moderat ausgeweitet worden. Konkrete Zeitangaben fehlen jedoch. Besonders die USA und Japan hatten versucht, die Beschlüsse von Paris eher wieder aufzuweichen.
Dahinter steckt ein Interessenkonflikt, der sich auch in der kontrovers geführten Diskussion in Deutschland wiederfindet. Folgt man allein der Logik der Erreichung und Millenniumsziele und eines möglichst effizienten Einsatzes der Mittel, dann spricht alles für einen intelligenten Instrumenten-Mix, der einerseits aus Beispiel gebenden (Modell-)Projekten besteht, der aber zugleich gemeinschaftlicher, programmorientierter Budgethilfe eine größere Bedeutung beimisst.
Eine solche Politik setzt vor allem auf die wachsende Eigenständigkeit der Entwicklungsländer, auf Nachhaltigkeit, auf den Aufbau leistungsfähiger staatlicher Strukturen, die auch dann noch funktionieren, wenn sich die Gebernationen mit ihrer Unterstützung wieder zurückziehen. Deshalb sind in diesem Zusammenhang auch der Aufbau von durchsetzungsfähigen und sozial ausgerichteten Steuersystemen sowie die Stopfung von Steuerschlupflöchern sehr wichtig. Eine so verstandene Entwicklungspolitik arbeitet im positiven Sinne immer daran, sich selber überflüssig zu machen.
In der Entwicklungspolitik spielen oft aber auch "hidden agendas" eine große Rolle, zum Beispiel nationale Eigeninteressen der Gebernationen: die Sicherung und Ausweitung von Einflusszonen, der Zugang zu billigen Rohstoffen und die Beschaffung von Aufträgen für die eigene Exportindustrie. Solche Ziele lassen sich im Rahmen der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit und mit gemeinschaftlicher, programmorientierter Budgethilfe aber kaum erreichen. In Deutschland drängen die Union und vor allem die FDP auf eine engere Verzahnung von Entwicklungspolitik und Außenwirtschaftsförderung. Sie treten deshalb folgerichtig für mehr bilaterale Entwicklungspolitik unter deutscher Flagge ein und stehen multilateralen Ansätzen und der gemeinschaftlichen Budgethilfe eher skeptisch gegenüber.
Vorbehalte gegenüber der Budgethilfe gibt es aber auch in Kreisen von Praktikern mit langjähriger Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit, wie Rupert Neudeck, und aus Kreisen einiger Nichtregierungsorganisationen. Mit gewissem Recht weisen sie darauf hin, dass Budgethilfe das Risiko in sich birgt, in den dunklen Kanälen korrupter Regierungen zu verschwinden.
Heftig diskutiert wurde in Accra deshalb über die Konditionen, zu denen Budgethilfe gewährt werden kann. Die Empfängerregierung muss sich zu großer Transparenz verpflichten – auch gegenüber ihrer Zivilgesellschaft – und die Gelder in einem vom Parlament gebilligten Haushalt ausweisen. Achtung von Menschenrechten, Rechenschaftspflichten und der engagierte Kampf gegen Korruption wurden ebenfalls als nicht nur zulässige, sondern auch notwendige Konditionen bezeichnet.
Konditionen, mit denen jedoch ideologisch geprägte Politikrezepte einzelner Gebernationen durchgesetzt werden sollen, wie zum Beispiel die Privatisierung staatlicher Institutionen oder die Liberalisierung noch geschützter Märkte, erteilt die Accra-Erklärung zu Recht eine Absage.
Vielen Nichtregierungsorganisationen geht die "Accra Agenda für Action" nicht weit genug, vor allem weil sie die großen Kohärenzprobleme, die es nach wie vor zwischen der Entwicklungspolitik und anderen Bereichen wie der Handels-, Finanz- und Agrarpolitik gibt, nur sehr vage anspricht.
Doch wenn das, was 2005 in Paris beschlossen und jetzt in Accra bestärkt wurde, tatsächlich zügig in die Praxis umgesetzt wird, sind das wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die Entwicklungspolitik muss effizienter werden – allen Bremsern zum Trotz. Qualität und Quantität dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Zu Recht trägt der Forderungskatalog, den eine große Plattform von internationalen Nichtregierungsorganisationen im Vorfeld der Accra-Konferenz vorgelegt hat, den Titel: "More and better aid!"
Will man die Millenniumsziele noch erreichen, muss die Entwicklungszusammenarbeit "more and better" werden. Das allein reicht aber nicht aus: die Strukturen im Welthandel und auf den internationalen Finanzmärkten müssen gerechter und entwicklungsfreundlicher gestaltet werden.
Bündnis 90/Die Grünen setzen sich mit großem Nachdruck dafür ein.