"Blitzlicht" aus dem Entwicklungsausschuss Mai 2012
UNCTAD muss wieder an Bedeutung gewinnen
In der von uns Grünen eingeforderten Unterrichtung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der 13. UNCTAD Ministerkonferenz (21. bis 26. April in Doha) wurde deutlich, dass für viele Länder die Organisation an Bedeutung verloren hat. Dies habe sich laut Bundesregierung auch dadurch bemerkbar gemacht, dass keine hochrangigen VertreterInnen an der Konferenz teilgenommen hätten. Die Konferenz war geprägt durch ein Gerangel hinter den Kulissen um das neue Mandat der Organisation. Die Industrieländer hatten bereits im Vorfeld für böses Blut gesorgt, als sie die Entwicklungsländer mit einem Vorschlag zur Reduzierung des UNCTAD-Mandats brüskierten. Dass die Beschneidung des UNCTAD-Mandats verhindert werden konnte, ist dem resoluten und selbstbewussten Auftreten der Mehrheit der Entwicklungsländer zu verdanken. Sie wehrten sich erfolgreich gegen den Versuch der Industrienationen, die Bedeutung der UNCTAD zugunsten des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation (WTO) noch weiter zurückzudrängen. Im Ausschuss zeigte sich das BMZ offen dafür, bislang im Rahmen der UNCTAD verhandelte Inhalte in weniger demokratische Foren, wie etwa die G20, zu verlegen. Wir Grünen fordern dagegen eine Stärkung der Rolle der Vereinten Nationen – für eine ökologische, soziale und gerechte Gestaltung der Globalisierung. Die UNCTAD darf nicht weiter geschwächt werden, sondern muss wieder an Bedeutung gewinnen.
Für ein Internationales Staateninsolvenzverfahren
Unser Antrag für die Einführung eines transparenten und unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens wurde im AWZ von der Koalition abgelehnt. Sowohl in hoch verschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländern als auch in Griechenland und anderen kritisch verschuldeten Eurostaaten fehlt es an einer geordneten Lösung von Staatsschuldenkrisen. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, die Einführung eines transparenten und unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens endlich international voranzutreiben, so wie es auch im Koalitionsvertrag steht. Seit 1990 wurden eine Reihe von unterschiedlichen Vorschlägen über die Ausgestaltung eines solchen Insolvenzmechanismus entwickelt. 2001 stellte sogar der IWF die Idee eines Entschuldungsmechanismus für souveräne Staaten ("Sovereign Debt Restructuring Mechanism, kurz SDRM) unter Leitung des IWF vor. Keiner der Vorschläge wurde jemals umgesetzt. Die Frage, wie internationale Prozesse im Blick auf eine faire und effiziente Lösung staatlicher Schuldenprobleme zu reformieren sind, hat nichts an Bedeutung verloren. Im Gegenteil, sie ist angesichts der Eurokrise und des Anstiegs nationaler Verschuldungsindikatoren weltweit noch dringlicher geworden. Der Antrag hat zum Ziel, die Debatte um ein Staateninsolvenzverfahren wiederbeleben. Er konzentriert sich darauf, einige Kernelemente eines fairen und transparenten Verfahrens zu beschreiben, wie z.B. eine unabhängige Instanz, die über Schuldentragfähigkeit und Legitimität der Schulden entscheidet oder Schutzrechte des Schuldnerlandes zur Gewährleistung eines menschenwürdigen "Existenzminimums" der Bevölkerung. Ein solches Verfahren verhindert nicht nur zukünftige Überschuldungen, es hilft dem verschuldeten Staat auch, sich zu reorganisieren und eine nachhaltigere wirtschaftliche und soziale Struktur aufzubauen. Außerdem fordern wir die Unterstützung der Ausarbeitung von Kriterien für eine verantwortliche Kreditaufnahme und Kreditvergabe, wie sie derzeit von der UNCTAD vorangetrieben wird.
Zukunft der Europäischen Entwicklungspolitik
Gemeinsam mit der SPD haben wir einen Antrag zur Neuausrichtung der Europäischen Entwicklungspolitik für mehr Kohärenz und wirksame Armutsbekämpfung eingebracht. Wir fordern mehr Kohärenz zwischen der Europäischen Union und den 27 Mitgliedstaaten im Interesse von Entwicklung und wollen dabei die koordinierende Rolle der EU stärken. Mehr Kohärenz brauchen wir insbesondere in der Europäischen Handels-, Agrar- und Fischereipolitik, deren Auswirkungen auf Entwicklungsländer stärker beachtet werden müssen. Ziel ist die Verbesserung der nachhaltigen Wirkung bei der Armutsbekämpfung und beim Einsatz von Budgethilfen.
Für eine bessere Wirksamkeit müssen die bisherige Fragmentierung nationaler und europäischer Entwicklungspolitik durch bessere Koordinierung und eine klare Arbeitsteilung beseitigt werden. Eine starre Quote von bi- und multilateraler finanzieller Zusammenarbeit, wie sie die Bundesregierung praktiziert, ist nicht handlungsleitend, sondern eine irrationale Fessel. Die finanziellen Zusagen müssen eingehalten werden. Die Kommission hat das ODA-Ziel (Official Development Assistance) und den Stufenplan, nach dem bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit bereitgestellt werden soll, noch einmal bekräftigt. Wir erwarten jetzt von Minister Niebel die internationale Verantwortung Deutschlands endlich ernst zu nehmen und den deutschen Beitrag zu erhöhen.
G20-Gipfel in Los Cabos
In einer von uns eingeforderten Unterrichtung der Bundesregierung im Vorfeld des G20-Gipfels in Los Cabos, Mexiko erläuterten je ein Vertreter des Sherpa Stabs sowie aus dem BMZ die deutschen Prioritäten und eingebrachten Positionen. Dem diesjährigen G20-Gipfel kommt unmittelbar vor der Rio 20+-Konferenz eine wichtige Bedeutung zu. Das Abschlusskommuniqué werde, wie auch in den Vorjahren, einen Annex zu Entwicklungspolitik enthalten. Entwicklungspolitische Belange sollen zudem zentral im Kommuniqué selber aufgenommen werden. Inzwischen gibt es im Rahmen der G20 zahlreiche "Neben-Gipfel", wie den Business 20, einen Labour 20, einen Youth 20 einen Girls 20 und in diesem Jahr auch erstmals einen Think Tank 20-Gipfel. Aus Sicht der Bundesregierung soll die Beteiligung der Zivilgesellschaft künftig stärker institutionalisiert werden. Die Bundesregierung habe sich insbesondere in der Arbeitsgruppe "Privatinvestitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen" eingebracht, deren Vorsitz Deutschland inne hat. Im Vorfeld des Rio-Gipfels solle ein "Tool-Kit" für Entwicklungsländer für "inklusive green growth-Strategien" entwickelt werden sowie eine Dialogplattform zur Mobilisierung privater Investitionen für "green growth" geschaffen werden. Die Kanzlerin werde "inklusive business Modelle", die an einem Wettbewerb teilgenommen haben, auf dem Gipfel prämieren.
Die G20 setzen in Kooperation mit den Business 20 stark auf Public-Private-Partnerships (PPPs). Neben den im letzen Jahr vorgestellten PPPs im Infrastrukturbereich in Afrika – sollen nun in Los Cabos PPPs im Klimabereich und exemplarisch für 11 Länder PPPs im Ernährungssicherungsbereich aufgelegt werden. Unter Beratung von McKinsey und in Kooperation mit global tätigen Agrarkonzernen wie Monsanto, Cargill und Syngenta sollen auf dem Business 20-Gipfel, der unmittelbar vor dem G20 Gipfel stattfindet, "geeignete Agrar-PPPs" in 11 Ländern präsentiert werden. Weder die Vorhaben im Infrastrukturbereich noch die im Ernährungssicherungsbereich entsprechen unseren Grünen Vorstellungen von armutsmindernden, ökologisch und sozial nachhaltigen Investitionen.
Reform der EU-Fischereipolitik
Der Grüne Antrag zur Reform der externen Dimension der EU-Fischereipolitik wurde von den Fraktionen der SPD und Linken ausdrücklich befürwortet, von den Koalitionsfraktionen erwartungsgemäß abgelehnt. Der Antrag skandalisiert die Auswirkungen der Aktivitäten europäischer Fangschiffe vor den Küsten Afrikas und im Pazifik. Bislang hat die EU es nicht geschafft, ihre Fischereiabkommen entwicklungsfreundlicher und ihre Fangmethoden und Fangmengen nachhaltiger zu regeln. Die aktuelle Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU (GFP) bietet eine große Chance, das zu ändern. Zum ersten Mal werden z. B. die Aktivitäten von EU-Fischereiakteuren in Fremdgewässern mit einem eigenen Kapitel in die Grundverordnung der GFP eingebunden. Der bisherige Legislativvorschlag der Kommission enthält zwar wichtige Änderungen, greift in seiner entwicklungspolitischen Dimension aber zu kurz. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung daher auf, sich bei den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene dafür einzusetzen, dass sämtliche EU-Fischereiaktivitäten in Drittländern und in internationalen Gewässern endlich hin zu einer ökologisch und sozial verträglichen Fischerei reformiert werden. Sie müssen im Einklang mit den entwicklungspolitischen Zielen der EU stehen.
Bisher laufen die Verhandlungen auf EU-Ebene in die richtige Richtung. Sowohl die Kommissionsmitteilung als auch die Ratsschlussfolgerungen haben einige Reformvorschläge in Bezug auf mehr Kohärenz der Fischereipolitik mit den entwicklungspolitischen Zielen der EU benannt. Das heißt aber noch nicht, dass wichtige Reformansätze auch tatsächlich in die neue Grundverordnung der GFP aufgenommen werden. Die Verhandlungen um eine Neuausrichtung der EU-Fischereipolitik sind noch nicht zu Ende. Dass die Regierungsfraktionen nicht bereit waren unseren Antrag im Entwicklungsausschuss zu unterstützen, nährt den Verdacht, dass die Bundesregierung doch noch vor den Interessen der südeuropäischen Fischereilobby einknickt und nicht bereit ist, substantielle Gesetzesänderungen durchzusetzen.