Niebel fällt Merkel in den Rücken: 0,7-Prozent-Ziel als Lebenslüge
Traurige Abkehr vom internationalen Versprechen für mehr globale Gerechtigkeit!
Entwicklungsminister Dirk Niebel verharmlost die eigene Niederlage im Haushaltsverfahren des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), indem er das Festhalten am 0,7-Prozent-Ziel als Lebenslüge bezeichnet. Damit brüskiert er auch Kanzlerin Merkel, die das Ziel zumindest rhetorisch auf der internationalen Ebene vertritt.
Minister Niebel schiebt dem Parlament die Schuld für die Grabenkämpfe in den eigenen Reihen in die Schuhe. Er will für die Kürzung seines Etats das Parlament verantwortlich machen. Dabei hat er selbst dazu beigetragen, dass sich die von der Kanzlerin und ihm immer wieder abgegebenen Bekenntnisse zum 0,7-Prozent-Ziel als Lüge erwiesen haben. Bereits im letzten Jahr hat er den interfraktionellen Entwicklungspolitischen Konsens nicht unterstützt – im Gegensatz zu einigen seiner Fraktionskollegen aus dem Entwicklungsausschuss und insgesamt 372 Mitgliedern des Deutschen Bundestages.
Den Höhepunkt an schizophrenem politischem Verhalten hat er jedoch vor einer Woche im Deutschen Bundestag abgeliefert. Als wir Grünen mit einem Antrag die Streichaktion des Haushaltsausschusses korrigieren und den ursprünglichen Regierungsentwurf verteidigen wollten, stimmte Niebel in der namentlichen Abstimmung mit Nein. Nun kritisiert er das Parlament, es habe die Kürzung des Entwicklungsetats zu verantworten. Diese Kritik trifft aber auch den Bundestagsabgeordneten Dirk Niebel selber, der genau dieser Kürzung zugestimmt hat.
Niebels Prahlen hat ein Ende
Zu Beginn der Haushaltsverhandlungen prahlte Entwicklungsminister Niebel noch mit seinem „Rekordhaushalt“. Dabei hätte die anfangs noch vorgesehene Mini-Erhöhung des Entwicklungsetats um 37 Millionen Euro ohnehin nicht ausgereicht, um auch nur annähernd auf die Zielmarke des internationalen Versprechens der 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammen arbeit und Humanitäre Hilfe hinzusteuern. Dafür hätten die Mittel bereits seit letztem Jahr um jährlich mindestens 1,2 Milliarden Euro gesteigert werden müssen, wie es auch der entwicklungspolitische Konsens gefordert hat. Und in diesem Sinne haben wir Grünen auch letztes und dieses Jahr unsere Änderungsanträge eingebracht.
Doch dann wurde gegen den Willen des Ministers der Entwicklungsetat im Vergleich zum Regierungsentwurf um 124 Millionen Euro und im Vergleich zum Vorjahr um 86,5 Millionen Euro gekürzt. Der Minister musste in der Bereinigungssitzung am Ende der Haushaltsdebatte hilflos mit ansehen, wie aus seinen eigenen Reihen die Kürzungen durchgedrückt wurden.
Fatales Signal für die Globale Gerechtigkeit
Damit hat sich die Regierungskoalition endgültig von dem internationalen Versprechen verabschiedet, dessen Einhaltung für viele Menschen auf der Welt den Schritt aus der Armut bedeuten könnte. Die Millenniumsentwicklungsziele auf die sich die Weltgemeinschaft geeinigt hat, können nicht umgesetzt werden, wenn die reicheren Industrieländer das versprochene Geld nicht zur Verfügung stellen. Die Hunger- und die Klimakrise können nicht überwunden werden, wenn die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit weiter gekürzt werden.
Dabei wäre es für Deutschland durchaus möglich gewesen durch verantwortungsvolles Wirtschaften und ohne die Neuverschuldung zu steigern, den Entwicklungsetat nicht zu senken sondern zu erhöhen. Deutschland verzeichnet dieses Jahr sprudelnde Steuereinnahmen.
Die Regierung spart auf Kosten der Zivilgesellschaft und der Ärmsten der Armen
Wir Grünen kritisieren nicht nur die Gesamtkürzung des Etats – auch einzelne Titel wurden aus nicht nachvollziehbaren Gründen und gegen sachliche Argumente bereits zu Beginn der Verhandlungen im ersten Entwurf der Regierung gekürzt:
Ausgerechnet bei der Zivilgesellschaft in Deutschland wird gespart. Die Mittel für die Nichtregie rungsorganisationen sinken zum ersten Mal seit Jahren um 2,4 Millionen und der Titel für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit um 2,6 Millionen. Dabei gibt es einen umsetzungsfertigen Entwurf von VENRO (Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V.) für ein PromotorInnen-Programm, das diese Mittel braucht. Engagement und internationale Solidarität auf zivilgesellschaftlicher Ebene darf nicht durch Mittelkürzungen gebremst werden.
Weiterhin stellt die Regierung zu wenig für die bereit, die es am Nötigsten brauchen, die sogenannten Least Developed Countries (die am wenigsten entwickelten Staaten). Unter den Top-10 Empfängern deutscher Hilfe finden sich fünf G-20-Staaten. Niebel lässt damit die Ärmsten der Armen allein und betreibt keine verlässliche und langfristig angelegte Politik. Denn diese braucht für die Planungssicherheit eindeutige Zusagen auch für die kommenden Jahre. Der Etat des BMZ soll jedoch nach derzeitigem Planungsstand in den nächsten Jahren deutlich sinken.
Dieser Haushalt ist auch kein gutes Signal für den internationalen Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen für die ärmeren Länder, die am Stärksten betroffen sind. Genau wie die Entwicklungsfinanzierung braucht es auch in der Klima- und Biodiversitäts-Finanzierung einen transparenten Fahrplan: Damit Deutschland im Jahr 2020 seinen fairen Anteil an der 100-Milliarden-Zusage der Industrieländer erreicht, müsste der Beitrag Deutschlands bis 2020 auf jährlich mindestens 6 Milliarden Euro pro Jahr anwachsen. Trotz der Zusagen für den Green Climate Fund hat die Bundesregierung keine Zeichen gesetzt, die darauf hindeuten, dass Deutschland seine Verantwortung ernst nimmt und voran schreitet bspw. im Kampf gegen die Energiearmut oder die Anpassung an den Klimawandel.