WTO-Konferenz endet mit Minimalkonsens - Die Krise als Chance nutzen
Zur Ministererklärung der WTO-Konferenz in Hongkong erklären die grünen Mitglieder der Parlamentarierdelegation Claudia Roth, Thilo Hoppe, Bärbel Höhn und Ulrike Höfken:
Ohne einen Durchbruch für die Doha-Entwicklungsrunde ist die WTO-Ministerkonferenz in Hongkong zu Ende gegangen. Immerhin gelang im letzten Moment die Gesichtswahrung durch einen Teilerfolg: Die Agrarexportsubventionen der Industrieländer, die für die Entwicklungsländer besonders schädlich sind, sollen bis 2013 auslaufen und bis 2010 erkennbar reduziert werden.
Im Zentrum der WTO-Verhandlungen standen vor allem der Abbau von wettbewerbsverzerrenden Subventionen im Agrarbereich sowie die Senkung von Zöllen und anderen Handelshemmnissen für Industriegüter und Dienstleistungen.
Es war wieder einmal ein großes Feilschen um Marktzugänge an denen besonders Nationen interessiert sind, die ihre Exporte steigern wollen und können. Auf dem Welthandelsbasar ging und geht es um die Frage, wer wie viel vom großen Kuchen abbekommt. Jeder wollte dabei für seine Volkswirtschaft die Gewinnchancen erhöhen. Niemand mochte mit leeren Händen nach hause fahren.
Da nicht, wie in früheren Zeiten, alleine die Europäische Union und die USA die Richtung vorgaben sondern sich, wie bereits auf der letzten WTO-Konferenz in Cancun, viele Entwicklungs- und Schwellenländer unter der Führung Brasiliens zusammengeschlossen hatten und den Industrienationen Paroli boten, ergab sich im Ringen um mehr Chancen auf dem Weltmarkt eine Patt-Situation, die ein Weiterkommen in vielen Bereichen blockierte. Zwar hat man sich in Hongkong noch auf ein Kompromisspapier geeinigt. Aber groß sind die Veränderungen gegenüber den Entwürfen die bereits vor Hongkong auf dem Tisch lagen, nicht. Immerhin wird den ärmsten Entwicklungsländern der zoll- und quotenfreie Zugang ihrer Produkte zu den Märkten aller Industrienationen - und nicht nur der Europäischen Union - in Aussicht gestellt.
Dies deutet auf einen kleinen Schritt in die richtige Richtung hin. Doch dabei handelt es sich erst um vage Absichtserklärungen, die für die Industrienationen noch viele Hintertürchen offen lassen. Hongkong hat wieder einmal gezeigt, dass sich die WTO in erster Linie als Vereinigung zum Abbau von Handelshemmnissen versteht aber kaum in der Lage ist, die soziale und ökologische Dimension der Globalisierung zu berücksichtigen. Der Freihandel führt eben nicht automatisch zu mehr Nachhaltigkeit. Oft ist das Gegenteil der Fall. Und mehr Freihandel bringt die Welt auch nicht automatisch der Erreichung der Millenniumsziele näher.
Trotz der in Hongkong anvisierten Aufstockung der handelsbezogenen Entwicklungshilfe ("aid for trade") profitieren starke Exportnationen vom Abbau der Handelsschranken deutlich mehr als ärmere Länder, die eher darauf angewiesen sind im Rahmen der Ernährungssicherung ihre kleinbäuerliche Landwirtschaft und ebenso ihre sich noch im Aufbau befindenden Industrien vor übermächtiger Konkurrenz aus dem Ausland schützen zu können.
Die WTO befindet sich unserer Einschätzung nach in einer Krise, aus der sie nur dann heraus kommen kann, wenn sie ihre Liberalisierungsideologie überwindet. Die globalisierte Weltwirtschaft braucht nicht nur zuverlässige Spielregeln, die für einen fairen Wettbewerb sorgen und Marktverzerrung beseitigen. Sie braucht auch starke soziale und ökologische Leitblanken die verhindern, dass sich menschenverachtende Ausbeutung und niedrige bis kaum vorhandene Umweltstandards im Welthandel als "komparative Kostenvorteile" auszahlen.
Die Doha-Entwicklungsrunde steckt in einer Sackgasse, weil der Abbau von handelsverzerrenden Agrarsubventionen und die Marktöffnung von Industriegütern und Dienstleistungen miteinander "verdealt" werden sollen. Die auf den großen Welthandelskonferenzen in Rio, Johannesburg und New York von vielen der Weltgemeinschaft proklamierten Ziele - Schutz der natürlichen Ressourcen der biologischen Vielfalt, Halbierung der Zahl der extrem Armen und Hungernden - drohen dabei immer mehr in den Hintergrund zu rücken.
Die Doha-Runde der WTO kann ihrem Anspruch, eine Entwicklungsrunde zu sein nur dann gerecht werden, wenn sie sich von der alleinigen Fixierung auf den Abbau von Wettbewerbsverzerrung und Handelshemmnissen löst. Viel stärker als bisher muss sie den ärmeren Länder Schutzmechanismen zubilligen sowie internationale Umwelt - und Sozialstandards berücksichtigen.
Internationale Abkommen und Konventionen, die dem Umweltschutz sowie der Implementierung der Menschenrechte und sozialer Mindeststandards dienen, dürfen von Handelsregeln der WTO nicht länger konterkariert werden sondern müssen - ganz im Gegenteil - von ihnen berücksichtigt und gefördert werden.
Wenn Fragen, die uns einer weltweiten ökologischen und sozialen Marktwirtschaft näher bringen in das noch zu schnürende "Entwicklungspaket" der WTO mit aufgenommen oder die Diskussion dazu wenigstens ernsthaft begonnen wird, dann kann in der gegenwärtigen Krise der WTO auch eine Chance liegen.
Auf der wahrscheinlich bald in Genf stattfindenden WTO-Konferenz sollten der schnelle und vollständige Abbau aller Formen marktverzerrender Agrarsubventionen definitiv beschlossen werden - auch ohne "Gegenleistungen" bei der Marktöffnung im Industrie- und Dienstleistungsbereich. Vor weiteren Schritten der Handelsliberalisierung und der Patentierung geistigen Eigentums sollten in Zusammenarbeit mit der Weltbank und den VN Folgeabschätzungen durchgeführt werden, die die sozialen und ökologischen Wirkungen beleuchten. Als Ergebnis davon wird man Handelsliberalisierung, Patentierung, Entwicklungszusammenarbeit ("aid for trade") und wohldosierte und gut begründete Schutzmechanismen sowie Umwelt- und Sozialstandards so ausbalancieren müssen, dass die Weltwirtschaft eine nachhaltige Entwicklung fördert, an der alle Menschen teilhaben können.
Um diesem Ziel näher zu kommen muss die Kooperation der WTO mit den internationalen Institutionen und Abkommen, die sich mit der sozialen und ökologischen Dimension der Globalisierung und der Implementierung der Menschenrechte befassen, stark verbessert werden. Die Einsetzung und Stärkung des in den letzten Jahren von der rot-grünen Regierung auf die Agenda gesetzten "Standing Forum" von WTO, UNEP, UNDP, ILO, IWF, Weltbank und anderen internationalen Institutionen kann dabei ein Weg sein, der zu mehr "good global governance" führt.