Welternährungstag: Wir haben das Ziel noch lange nicht erreicht
Zum morgigen Welternährungstag erklärt Thilo Hoppe, Sprecher für Welternährung:
Die jüngsten Zahlen der Welternährungsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen klingen zunächst erfolgsversprechend: Die Zahl der Unterernährten weltweit ist auf 842 Millionen gesunken. Das sind 26 Millionen weniger als bei der letzten Zählung. Dennoch ist Vorsicht geboten, denn die Berechnungsmethode der FAO ist umstritten.
Würde man zum Beispiel einen täglichen Kalorienbedarf zugrunde legen, der den oft von harter körperlicher Arbeit geprägten Alltag armer Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern eher entspricht, würde die Zahl laut Berechnungen der Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen FIAN und Oxfam auf 1,3 Milliarden hochschnellen. Auch der Hunger durch kurzfristige Preisschocks oder ausgefallene Ernten wird kaum abgebildet, da nur Menschen erfasst werden, die ein ganzes Jahr lang unterernährt sind.
Schließlich reich Satt sein allein auch nicht aus: Ein zunehmendes Problem ist der „verborgene Hunger“, also der Mangel an wichtigen Mikronährstoffen. Reis, Weizen und Mais, die für viele arme Menschen mehr als 80 Prozent der Ernährung ausmachen, füllen zwar den Magen, aber führen zu langfristigen Mangelerscheinungen, die oft über Generationen weitergegeben werden. Laut FAO-Bericht sind in afrikanischen Ländern 60 Prozent der Kinder in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung eingeschränkt. Auch der jüngst von der Welthungerhilfe vorgestellte Welthungerindex weist eindringlich auf diese Missstände hin. Global leiden mehr als zwei Milliarden Menschen an armutsbedingter Mangelernährung. Diese Zahlen sollten nicht unterschlagen werden.
Es ist nach wie vor einer der größten Skandale der Menschheit, dass jeder vierte Erdenbürger nicht ausreichend zu essen hat, obwohl weltweit genügend Nahrungsmittel produziert werden. Es wäre genug für alle da, doch zu viel landet im Trog, im Tank und in der Tonne.
Die internationale Gemeinschaft hat noch immer keine überzeugende Antwort auf diese globale Herausforderung gefunden. Statt die Anstrengungen im Kampf gegen den Hunger zu forcieren, haben viele Industrienationen, auch Deutschland, in diesem und im letzten Jahr die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sogar noch gekürzt. Und statt innerhalb des Systems der Vereinten Nationen gemeinsam mit den Entwicklungs- und Schwellenländern an einem Strang zu ziehen, beschreiten die G8-Staaten mit ihrer „Neuen Allianz für Ernährungssicherheit“ einen Sonderweg und bauen Parallelstrukturen auf. Im Schulterschluss mit Großkonzerne der Agro-Industrie wie Monsanto, Syngenta und BASF setzen sie vor allem auf Produktionssteigerung. Doch eine Strategie, die noch mehr Gensaatgut, Stickstoffdünger und chemische Spritzmittel propagiert, treibt KleinbäuerInnen in die Schuldenfalle und führt zu schweren Umweltschäden.
Der Hunger in der Welt kann nur mit einer kohärenten Politikstrategie bekämpft werden, deren Herzstück eine globale Agrarwende sein muss. Vor allem Kleinbäuerinnen und Kleinbauern müssen darin unterstützt werden, auf ökologisch nachhaltige Weise gesunde Nahrungsmittel zu produzieren. Der Auf- und Ausbau von Wertschöpfungsketten und sozialen Sicherungssystemen in den vom Hunger betroffenen Ländern sowie wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel und die ausufernde Spekulation mit Nahrungsmitteln und Böden gehören auch dazu.