Nepal braucht Frieden

Zur heutigen Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung in Nepal erklärt Thilo Hoppe, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung sind ein historisches Ereignis für Nepal. Obwohl es im Wahlkampf in einigen Regionen zu gewalttätigen Ausschreitungen und Einschüchterungsversuchen gekommen ist, sind sowohl die unabhängige nationale Wahlkommission als auch die internationalen Wahlbeobachter optimistisch und hoffen,  dass es gelingt, die Wahlen einigermaßen geordnet und fair durchzuführen, so dass ihr Ergebnis den Willen der Bevölkerung widerspiegelt.

Mit ersten Zwischenergebnissen ist frühestens am Freitag zu rechnen.  Aufgrund des komplizierten Wahlsystems wird das endgültigen Ergebnis und die Sitzverteilung in der Verfassungsgebenden Versammlung wohl erst in drei Wochen bekanntgegeben werden können.

Um so wichtiger ist es, dass sich alle Parteien an den im Rahmen des Friedensabkommens ausgehandelten "code of conduct" bezüglich der Wahlen halten und ihre Anhänger zu strikter Gewaltfreiheit auffordern und darauf vorbereiten, das Ergebnis der Wahlen zu akzeptieren, wenn sowohl die nationale Wahlkommission als auch die internationalen Wahlbeobachter keine nennenswerten Manipulationen und Wahlbeeinträchtigungen feststellen sollten.

Voraussichtlich wird keine Partei in der Verfassungsgebenden Versammlung die absolute Mehrheit erringen, so dass es zu Koalitionen kommen muss. Es wäre Nepal  zu wünschen, dass zumindest für den Zeitraum der Ausarbeitung einer neuen Verfassung so wie jetzt in der Übergangsregierung alle relevanten Parteien zusammenarbeiten, um das Land zu stabilisieren.

Die Tatsache, dass nach einem zehnjährigen blutigen Bürgerkrieg mit schätzungsweise 13 000 Toten einstmals verfeindete Parteien in einer Übergangsregierung zusammenarbeiten und sich heute demokratischen Wahlen stellen, grenzt an ein Wunder.

Der Bürgerkrieg zwischen maoistischen Rebellen, dem inzwischen entmachteten König und den etablierten Parteien hat Nepal, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, in den letzten beiden Jahrzehnten gelähmt und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung behindert.

Die heutigen Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung bieten die Chance, dass das Land im Friedensprozess und damit auch in seiner wirtschaftlichen Entwicklung einen großen Schritt vorankommt. Ob dies gelingt oder Nepal ins Chaos zurückfällt, hängt davon ab, ob auch radikale Kräfte innerhalb der maoistischen Bewegung und die Anhänger von Monarchie und feudalistischen Strukturen das Ergebnis der Wahlen akzeptieren, sich an die Spielregeln der Demokratie halten und in der Verfassungsgebenden Versammlung konstruktiv mitarbeiten.

Internationale Wahlbeobachter und Menschenrechtsexperten sollten auch über den Wahltag und den Auszählungszeitraum hinaus noch eine Weile im Land bleiben und den weiteren Prozess begleiten.

Gelingt es, die Wahlen einigermaßen geordnet und fair durchzuführen und die Verfassungsgebende Versammlung zu konstituieren, sollten sowohl die internationale Gemeinschaft als auch Deutschland am Aufbau eines neuen Nepals intensiv mitwirken und die Entwicklungszusammenarbeit kräftig ausbauen.

Unterstützung braucht das Land auch bei der Aufarbeitung seiner jüngsten Vergangenheit. Im Rahmen des Bürgerkriegs sind auf Seiten aller Konfliktparteien massivste Menschenrechtsverletzungen begangen worden. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Gräueltaten aufarbeitet, die Opfer so weit wie möglich entschädigt, die Täter vor Gericht bringt und innerhalb der Gesellschaft Frieden stiftet, muss etabliert werden und unverzüglich die Arbeit aufnehmen.

Eine weitere große Herausforderung besteht darin, religiöse und ethnische Minderheiten sowie die Kastenlosen, die bisher marginalisiert wurden, zu integrieren und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung einzuleiten, die auch die Lebensbedingungen der Ärmsten der Armen verbessert.