Der Bekämpfung des Hungers mehr Gewicht verleihen
Im Vorfeld des Welthungertages (16. Oktober) erklären Thilo Hoppe, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie Ulrike Höfken, Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz:
Der Welternährungstag, der jedes Jahr am 16. Oktober begangen wird, ist vielen Politikern nur routinemäßige Betroffenheitskundgebungen und den meisten Zeitungen bestenfalls noch eine Randnotiz wert. Dabei müsste die erschreckende Tatsache, dass die Zahl der Hungernden immer weiter steigt, ein aufrüttelndes Topthema sein .
Mittlerweile leiden mehr als 852 Millionen Menschen weltweit an chronischer Unterernährung. Dass alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert, obwohl auf dieser Welt genügend Nahrungsmittel angebaut werden, mit denen doppelt so viele Menschen ernährt werden könnten wie heute auf der Erde leben, ist ein Skandal ersten Ranges, der zum Umdenken und Handeln zwingt.
Wir fordern die Bundesregierung auf, der ländlichen Entwicklung in den Partnerländern in Afrika, Lateinamerika und Asien endlich den Stellenwert einzuräumen, den sie verdient hat.
Bei zwei Anhörungen des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2005 und 2006) hatten sämtliche Experten dafür plädiert, mehr Geld zur Förderung einer angepassten und nachhaltigen Landwirtschaft in den Entwicklungsländern bereitzustellen.
Dieser Appell, dem sich die große Mehrheit der Entwicklungspolitiker aller Fraktionen anschließen konnte, ist aber anscheinend in der Bundesregierung auf taube Ohren gestoßen. Nach wie vor werden der Agrarsektor und die ländliche Entwicklung in der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit sträflich vernachlässigt – trotz der ansteigenden Zahl der Hungertoten.
Dies ist nicht allein Schuld der Entscheidungsträger in den Geberländern. Auch bei vielen Machthabern in den Ländern des Südens stößt die ländliche Entwicklung leider nur auf geringes Interesse. Sie richten ihre Politik oft nur an den Interessen der Eliten in den Metropolen aus. Hungernde Menschen in weit abgelegenen ländlichen Regionen geraten deshalb immer mehr in Vergessenheit. Aber fast 80 Prozent der Hungernden leben auf dem Lande.
Eine Entwicklungszusammenarbeit, die sich viel stärker als bisher an der Umsetzung des Rechts auf Nahrung orientiert, könnte dem entgegenwirken. Die 2004 auf Initiative von Renate Künast von allen 184 Mitgliedsstaaten der Welternährungsorganisation FAO beschlossenen internationalen Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung könnten ein hervorragendes Instrument sein, der Bekämpfung des Hungers mehr Gewicht zu verleihen. Dazu braucht es aber Staaten, die diese Richtlinien engagiert anwenden.
Nach diesen Leitlinien wäre jedes Land verpflichtet, zunächst Rechenschaft darüber abzulegen, welche Bevölkerungsgruppen in welchen Regionen chronisch unterernährt sind, um dann mit einem nationalen Strategieplan zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung auf diese Missstände zu antworten.
Nach den von den FAO-Mitgliedsstaaten beschlossenen Leitlinien wird unter dem Recht auf Nahrung vor allem das Recht gemeint, ausreichend Lebensmittel anbauen oder erwerben zu können. Dies bedeutet unter anderem Zugang zu Land, Wasser und Saatgut – vor allem für Kleinbauern, die in vielen Ländern der Welt von Großgrundbesitzern und transnationalen Konzernen entrechtet und verdrängt werden.
Eine wichtige Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit müsste es sein, Unterstützung bei der Umsetzung von Landreformen zu geben und vor allem an den Anbau von Grundnahrungsmitteln für regionale Märkte zu fördern.
Programme zur Förderung der Agrarexportwirtschaft sind nur dann zu verantworten, wenn sie der Ernährungssicherung der Menschen in den Anbauländern nicht zuwiderlaufen.
Die Mittel und Methoden der "grünen Gentechnik" sind unserer Meinung nicht geeignet, einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers zu leisten. Ganz im Gegenteil: In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern haben sie zu ökologischen und sozialen Verwerfungen geführt und die prekäre Situation der Kleinbauern noch weiter verschlechtert.
Unter Bezugnahme auf den Welternährungstag bringen wir einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, im Bundeshaushalt deutlich mehr Geld zur Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung in den Entwicklungsländern bereitzustellen und sich mit Nachdruck für eine Aufwertung des Rechts auf Nahrung einzusetzen.
Deutschland sollte im nächsten Jahr im Rahmen seiner G8- und EU-Ratspräsidentschaft zu einer Umsetzungskonferenz der "Recht auf Nahrung"-Leitlinien einladen und darauf achten, dass auch in bi- und multilateralen Zoll- und Handelsabkommen das Recht auf Nahrung gefördert und nicht konterkariert wird.
Am Welternährungstag wollen wir nicht nur Betroffenheitskundgebungen und schöne Worte hören, sondern erfahren, was die Bundesregierung konkret zu tun gedenkt, um den Hunger wirkungsvoller als bisher zu bekämpfen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch!