Wirtschaftspartnerschaften
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die einfachen Antworten sind meistens nicht die richtigen. Pauschal zu sagen, Freihandel sei an allem schuld und sei die einzige Ursache für den Hunger in der Welt, ist zu einfach. Aber das, was bei der FDP durchschimmerte, nämlich dass Freihandel die beste Entwicklungspolitik sei, ist eine Vereinfachung in die andere Richtung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kommen wir nun zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Alle vorgelegten Anträge sind Ende des letzten Jahres eingereicht worden und eigentlich nicht mehr aktuell. Inzwischen haben sich die Horrorszenarien nicht bestätigt. In letzter Sekunde konnten viele Interimsabkommen abgeschlossen werden, auch einige endgültige Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Aber es gibt überhaupt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit aufseiten der Europäischen Union. Denn in dem Verhandlungsprozess ist sehr viel Porzellan im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten zerschlagen worden.
Wenn es stimmt, dass diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, wie von Herrn Dr. Raabe und Frau Hübinger bezeichnet, so entwicklungsfreundlich sind und gut auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer zugeschnitten sind, stellt sich mir die Frage: Warum gibt es dann diese großen Protestbewegungen, die wahrlich nicht nur von linksradikalen, globalisierungskritischen Bewegungen aus dem Westen initiiert werden?
Auch der Allafrikanische Christenrat, in dem alle großen Kirchen Afrikas versammelt sind, hat vor den Risiken dieser Abkommen deutlich gewarnt. Allerdings haben sie die Abkommen nicht von vornherein vom Tisch gewischt und verteufelt. Wenn die Abkommen so katastrophal und entwicklungsschädlich wären, wie von den Gegnern der Abkommen behauptet wird, warum haben dann fast alle afrikanischen Staaten solche Interimsabkommen unterzeichnet? Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil sie erpresst wurden!)
Die Europäische Union hatte ein großes Kohärenzproblem. Das stellt man fest, wenn man mit den Akteuren redet, zum Beispiel mit Herrn Michel. Man spricht zwar von Entwicklungspartnerschaften, die Gespräche wurden aber von der Generaldirektion Trade, von Mr. Mandelson, geführt. Die Generaldirektion Trade ist ganz anders zur Sache gegangen. Sie hat sich nicht auf die Gesprächspartner aus Burkina Faso oder Mali eingestellt, sondern mit sehr viel Druck gearbeitet.
Auf der Parlamentarierkonferenz im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels haben mehrere Kollegen aus Afrika - nicht nur Abgeordnete kleiner Parteien, sondern auch einige Minister - das Wort "Erpressung" nicht nur in den Mund genommen, sondern sogar offen ausgesprochen. Wenn Sie sich mit den Kollegen im Entwicklungsausschuss des Europaparlaments rückkoppeln würden, wüssten Sie, dass sowohl die Sozialdemokraten, zum Beispiel Frau Kinnock von der Labour Party, als auch die Konservativen auf dieser Parlamentarierkonferenz scharfe Kritik an der Verhandlungsführung der Europäischen Kommission geübt haben.
Wenn man die Interimsabkommen bewerten möchte, steht man vor einem großen Problem: Sie sind gar nicht öffentlich zugänglich. Wir haben es versucht, aber auf dem offiziellen Weg konnten wir nicht Einsicht nehmen. Wir mussten den Umweg über ein niederländisches Institut nehmen. Wenn man die Abkommen einsieht, stellt man fest, dass es gute Beispiele für einigermaßen harmlose, positive Abkommen, die Schutzklauseln enthalten, gibt. Genauso findet man aber auch negative Beispiele. Die Elfenbeinküste, ein schwacher Verhandlungspartner, hat sich beispielsweise verpflichtet, bis 2012 den Handel mit 60 Prozent aller Güter zu liberalisieren. Kenia, das möglicherweise ein besserer Verhandlungspartner ist, muss erst 2015 die ersten Liberalisierungsschritte vornehmen.
Man merkt: Das ist ein großer Flickenteppich mit sehr unterschiedlichen Abkommen, die darüber hinaus große Probleme schaffen. Viele Abkommen sind nämlich bilateral abgeschlossen, obwohl man eigentlich die regionale Integration fördern will. Deshalb müssen viele dieser Abkommen, die mit heißer Nadel gestrickt wurden, zugunsten regionaler Abkommen wieder aufgeknüpft werden.
Das bietet aber auch eine große Chance hinsichtlich der Achtung der Schutzbedürfnisse der Entwicklungsländer. Hinsichtlich der Ernährungssouveränität brauchen die Entwicklungsländer sehr viel mehr Schutzmöglichkeiten. Wir haben mit Kleinbauern aus Sambia und Ghana viele Gespräche geführt. Sie werden mit Billigimporten aus der Europäischen Union überflutet, vor denen sie sich nicht ausreichend schützen können. Diese Schutzklauseln gelten eingeschränkt oder enthalten Übergangsfristen.
Die Abkommen müssen noch kräftig nachgebessert werden, damit sie dem Etikett "Entwicklungspartnerschaft" gerecht werden. Per se sind sie es bisher nicht. Ein Nacharbeiten ist dringend notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dafür plädieren wir mit unserem Antrag, der differenziert ist. Das ist keine Pauschalverurteilung, aber auch kein Abfeiern sehr zweifelhafter Ergebnisse. Ich bitte um Unterstützung für diesen Antrag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)