Welternährungskrise

Petra Pau:

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Thilo Hoppe das Wort.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, es geht hier nicht um parteipolitisches Gezänk. Ich will Ihrem Aufruf gern folgen, aber wir kommen nicht darum herum, sehr kritisch und auch selbstkritisch zu fragen: Was ist eigentlich schiefgelaufen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Jahr 2000 wurde von allen Staatsoberhäuptern der Welt feierlich das Ziel proklamiert, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Wir machen aber überhaupt keine Fortschritte in der Richtung. Es geht in die völlig falsche Richtung. Kontinuierlich steigt der Zahl der Hungernden.

Morgen Nacht gibt es im ZDF einen Dokumentarfilm mit dem Titel "Hunger und Wut". Darin wird die Frage gestellt: Was hat sich eigentlich geändert? Was ist Neues passiert? Seit Jahrzehnten hungern etwa 850 Millionen Menschen still vor sich hin. Das Problem ist kaum wahrgenommen worden - außer in den Abenddebatten des AWZ. Was also ist passiert, dass plötzlich das Thema überall auf der ersten Seite steht und diskutiert wird?

Mehrere Faktoren sind zusammengekommen und haben das Problem eskalieren lassen. Zum ersten Mal erreicht es in den Schwellen- und Entwicklungsländern auch die Mittelklasse, die ersten Steine fliegen, es kommt zu ersten Unruhen, und plötzlich reagiert auch die Weltöffentlichkeit.

In der Krise liegt auch eine Chance, nämlich die, dieses wichtige Thema breiter zu diskutieren. Wie gesagt, wir kommen nicht darum herum, kritisch, auch selbstkritisch, zu fragen: "Was ist falsch gelaufen?", wirklich kräftige Kurskorrekturen anzumahnen: in der Agrarpolitik - das hat die Kollegin Renate Künast schon getan -,

(Dr. Karl Addicks [FDP]: Na, na, na! - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das hat sie leider nicht gemacht! - Dr. Karl Addicks [FDP]: In der Entwicklungspolitik!)

aber auch in der Entwicklungspolitik.

In den Zielen sind wir uns einig. Wir haben im AWZ mehrere Anhörungen mit Jean Ziegler, mit internationalen Wirtschafts- und Agrarexperten durchgeführt, wir haben mehrere Anträge diskutiert - immer mit dem Ziel, mehr im Bereich der ländlichen Entwicklung zu tun. Es ist aber nicht geschehen. Ganze 3,1 Prozent der Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit gehen direkt in den ländlichen Sektor, kommen direkt Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zugute, die Grundnahrungsmittel anbauen, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Es sind dort falsche Strategien gefahren worden. Auch die Afrika-Strategie des BMZ ist ganz stark auf das Exportgeschäft ausgerichtet - bei Vernachlässigung des Anbaus von Grundnahrungsmitteln für die dort lebenden Menschen. Ich bin froh, wenn es jetzt zur Einsicht und zu Kurskorrekturen kommt; denn die sind absolut bitter notwendig - überlebensnotwendig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Diskussion heute sind viele Argumente zusammengemixt worden. Oft wurde Ursache und Wirkung verwechselt. In einigen Interviews wurde sogar gesagt: Dadurch, dass wir die Agrarexportsubventionen senken, haben die Menschen nichts mehr zu essen; in Haiti etwa gibt es jetzt keine billigen Lebensmittel mehr. - Das ist so wie im folgenden Fall: Wenn man einen Menschen drogenabhängig macht und der Dealer dann plötzlich den Stoff verweigert, dann führt das natürlich zunächst zu einer Krise.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Der kriegt doch Methadon bei euch!)

Da wird doch wirklich Ursache und Wirkung verwechselt!

Was ist durch die Agrarexportsubventionen geschehen? Wir haben nicht nur die Kleinbauern entmutigt, wie das hier schon gesagt wurde; wir haben ganze Märkte zerstört. Wir haben Tausende von Kleinbauern in den Ruin getrieben,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

indem Hähnchenteile, Tomatenmark, Milchpulver, Getreide - alles hoch subventioniert! - auf den Märkten der sogenannten Dritten Welt abgekippt wurden.

Auch bei der Tortillakrise, die originellerweise ständig zitiert wird, geht einiges durcheinander. Was ist passiert? Mexiko war einst ein Land, das Mais sogar exportieren konnte, war das Heimatland vom Mais. Dann gab es die Freihandelszone NAFTA - Herrn Goldmann sage ich: Freihandel löst nicht alle Probleme, sondern schafft auch manche Probleme -,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und der Markt ist mit hochsubventioniertem US-amerikanischen Mais überschwemmt worden. Das hat die Landwirtschaft in Mexiko in den Ruin getrieben und ein Exportland plötzlich zum Importland gemacht.

Neuerdings kippen die Amerikaner ihren Mais lieber in den Tank.

(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das habt ihr so gewollt!)

Das führt zu einem starken Anstieg der Preise, und die armen Mexikaner können sich die Tortilla nicht mehr leisten.

Für den Übergang ist das ein großes Problem, aber auch darin liegt eine Chance. Jetzt könnte die Agrarproduktion in Mexiko wieder angekurbelt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Es gibt neue Chancen für die Landwirtschaft in Mexiko, diesen Sektor wieder aufzubauen.

(Dr. Karl Addicks [FDP]: Nicht nur in
Mexiko!)

- Nicht nur in Mexiko, sondern auch - das haben schon einige Vorredner gesagt - in vielen anderen Ländern.

Jetzt kommt es nicht darauf an, alle unsere stillgelegten Flächen wieder zu aktivieren, Herr Seehofer. Wir können nicht mit Nahrungsmittellieferungen von Europa aus das Problem des Hungers in anderen Teilen der Welt lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Peter Bleser [CDU/CSU]: Aber doch einen Teil! - Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr könnt ein Stück zusätzliche Nachfrage bedienen!)

Es kommt jetzt darauf an, die Agrarproduktion in den Ländern, die vom Hunger betroffen sind, wieder anzukurbeln, aber bitte schön mit Methoden, wie sie jetzt im Weltagrarbericht vorgestellt wurden, also nicht mit massivem Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, Gentechnik, Chemiedünger usw. Das schafft nämlich wieder weitere Umweltprobleme, mergelt die Böden aus und heizt das Klima an.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Stimmt doch gar nicht!)

Jetzt ist es wirklich notwendig, mit angepassten, nachhaltigen Methoden die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu unterstützen, also den Agrarproduzenten in den Ländern, in denen Hunger herrscht, wirklich Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Dies darf nicht durch eine verfehlte Agrar- und Subventionspolitik torpediert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Karl Addicks [FDP]: Ohne Intensivierung wird das nicht gehen! Ohne Biotechnologie ist das auch nicht zu machen!)

Ich habe jetzt leider einige wichtige andere Argumente in der Kürze der Zeit nicht mehr aufgreifen können, diese seien nur ganz kurz im Stakkato genannt:

Das, was momentan passiert, ist auch die Folge von bodenloser Spekulation. Viele Entwicklungen lassen sich eigentlich gar nicht nachvollziehen. Nur auf 1,9 Prozent der Anbaufläche werden Energiepflanzen angebaut. Trotzdem sei diese Produktion nach IFPRI für 30, 40 oder gar 50 Prozent der Preisentwicklung verantwortlich.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Hoppe, trotz dieses Tricks ist die Zeit wirklich abgelaufen.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Diese Entwicklung kann also nur die Folge von ausufernden Spekulationen sein. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])

Video: Rede zur EU-Lateinamerika-Debatte

Video: Rede zur Biosprit-Debatte

Video: Haushaltsrede

Linktipp: Videos von den Reden Thilo Hoppes in der Mediathek des Deutschen Bundestages.

Bitte beachten Sie auch meine Parlamentarischen Anträge