Thilo Hoppe, Flugticketabgabe

Sehr geehrte Damen und Herren,

endlich können wir hier im Deutschen Bundestag über zwei Anträge diskutieren und entscheiden, die schon vor vielen Monaten eingebracht worden sind: Sie fordern die Einführung einer Flugticketabgabe zur Finanzierung von Entwicklungsvorhaben für die Ärmsten der Armen.

Nahezu alle Entwicklungsexperten stimmen darin überein, dass die bisherigen Anstrengungen nicht ausreichen, um die Millenniumsziele zu erreichen. Die Zahl der Hungernden steigt. Sie liegt mittlerweile bei fast 850 Millionen. Und Tag für Tag sterben weltweit 30 000 Kinder an vermeidbaren Krankheiten.

Eine Expertenkommission der Vereinten Nationen hat dazu aufgerufen, die weltweiten Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe mindestens zu verdoppeln. Dies sei nötig, damit wir überhaupt eine Chance haben, der Erreichung der Millenniumsziele nahe zu kommen.

Selbstverständlich kommt es nicht nur auf das Geld an - sondern ebenso auf Reformen in den Entwicklungsländern selbst, in der Entwicklungszusammenarbeit und in den Strukturen der Weltwirtschaft. Qualität und Quantität der Entwicklungszusammenarbeit müssen verbessert werden - doch dazu brauchen wir auch deutlich mehr Geld ! Die Koalition hat das (wie die Vorgängerregierung) klar erkannt. Sie bekennt sich zum 0,7-Prozent-Ziel. Und sie gibt ehrlich zu, dass diese enormen Steigerungen nicht allein mit Haushaltsmitteln zu machen sind und hat deshalb im Koalitionsvertrag angekündigt, neue Geldquellen aufzutun und sich für die Einführung innovativer Finanzierungsinstrumente einzusetzen.

Aber jetzt müssen diesen Worten endlich Taten folgen ! Man kann natürlich ewig diskutieren, welche neuen Finanzierungsinstrumente die besten sind. Wenn es nach uns ginge, dann hätte Deutschland längst eine Initiative zur Einführung einer Devisenumsatzsteuer - der Tobin-Tax - ergriffen. Aber wir kennen die enormen Widerstände die es dagegen auf internationaler und nationaler Bühne gibt. Auch eine Kerosinsteuer mit ökologischer Lenkungswirkung wäre sicherlich noch besser als die jetzt diskutierte Flugticketabgabe. Aber: Was ist machbar, umsetzbar - jetzt?

Frankreich, Brasilien, Chile, Norwegen, Südkorea und zehn weitere Länder haben es vorgemacht und erheben bereits eine Flugticket-Solidarabgabe zur Entwicklungsfinanzierung oder stehen kurz vor der Einführung. In Frankreich sind es ein Euro für innereuropäische Flüge in der Touristenklasse und 40 Euro für Interkontinentalflüge in der Business-Class. Das hält niemanden vom Fliegen ab - aber bringt 200 bis 300 Millionen pro Jahr zusätzlich zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose.

Es ist ein Trauerspiel, dass Deutschland abseits steht und sich nicht dazu durchringen kann, dem Aufruf von Kofi Annan zu folgen und sich der Initiative von Jacques Chirac und Lula anzuschließen. Wir haben vorgestern im Ausschuss über eine Reform der deutschen Entwicklungspolitik gesprochen - über die Notwendigkeit, dass Deutschland auch auf internationaler Bühne stärker auftritt.

JETZT stehen Entscheidungen an: 18 Länder diskutieren darüber, wie die durch die Flugticketabgabe eingenommen Gelder am besten verwendet werden. Deutschland ist nicht dabei. Ich bin mir sicher, dass die Entwicklungsministerin und viele Kolleginnen und Kollegen aus der der SPD und der CDU/CSU unserem Antrag heute zustimmen würden, wenn es nicht die Koalitionszwänge gäbe. Der Wirtschaftsminister stellt sich quer, weil er den fadenscheinigen Argumenten der Luftfahrt-Lobby folgt. Und Finanzminister Steinbrück fürchtet Bildzeitungsschlagzeilen bezüglich neuer Steuerabzocke.

Sein Vorgänger hingegen, der Kollege Hans Eichel, hat einen Appell von attac unterschrieben, der sich klar für die Flugticketabgabe einsetzt. Ich appelliere an den Kollegen Eichel und an die Entwicklungspolitiker der Koalition ihrer Überzeugung folgend abzustimmen und jetzt nicht mit Vertröstungs- und Hinhaltefloskeln zu kommen. Bitte zeigen Sie Rückgrat - JETZT ! was sie gestern im Ausschuss zu zur Flugticketsteuer abgeliefert haben war ein wirkliches Trauerspiel. Es macht traurig zu sehen, dass Sie in dieser Frage wider besseren Wissens handeln.

Ihre Kanzlerin hat es sehr gut auf den Punkt gebracht: "Wir wissen, dass uns die Probleme zu Hause erreichen, wenn wir sie nicht woanders lösen. Dafür brauchen wir natürlich Geld." Wir haben einen parlamentarischen Antrag vorgelegt, denn Sie zunächst über die Sommerpause verschleppt haben. In diesem Antrag steht wortwörtlich das, was ihre Kanzlerin öffentlich kundtut und was sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Was ist das für ein Spiel? Klären sie uns auf? Sagen sie uns was sie zu tun gedenken, damit uns die Probleme nicht zu Hause erreichen, die sie nicht bereit sind woanders zu lösen.

Um diese Probleme zu lösen brauchen wir frisches Geld und nicht nur die Entschuldung von Irak und Nigeria. Sie reiten zu lange und zu unverschämt auf dieser Irak-Entschuldungswelle, die sie kurzfristig auf eine ODA-Quote von 0,35% gebracht hat. Lassen sie diese Rechentricks, selbst die OECD vermeldet 2005 einen Rückgang der ODA-Mittel, wenn der Schuldenerlass rausgerechnet wird. Sie machen einen großen Fehler. Sie machen sich international unglaubwürdig. Sie können nicht jahrelang in der Lula-Gruppe und anderswo über innovative Finanzierungsinstrumente diskutieren, sich in der "Pilotgruppe für die Einführung von Solidaritätsbeiträgen zugunsten von Entwicklung" tummeln, um dann, wenn andere wie Frankreich, Brasilien und Südkorea handeln, abzutauchen. Sie verpassen den Anschluss: Heute werden die Entscheidungen getroffen wie der Fonds "Unitaid" aussehen soll, wie das Geld aus Flugticketsteuer eingesetzt werden soll. Sie stehen im Abseits.

Wir haben in den letzten Tagen in Hinblick auf die EZ-Reform viel über eine effizientere internationale Politikgestaltung, über Agenda-Setting und all die Dinge gesprochen. Dies ist ein gutes Beispiel um zu zeigen, wie man sich selbst aus der Politikgestaltung verabschiedet. Mittlerweile sind es schon 18 Länder, die eine Ticketabgabe eingeführt oder diese verbindlich beschlossen haben. Sie könnten in Deutschland durch eine Flugticketsteuer, wenn wir das Minimalmodell Frankreichs zugrunde legen, mindestens 300 Mio. Euro jährlich mobilisieren. Würden Sie's so machen wie die Schweden, käme knapp 1 Mrd. dabei heraus.

Die Briten haben bereits seit 1994 eine Flugticketabgabe und erwirtschaften damit heute jährlich 1,45 Mrd. Euro. Es sind nicht allein nur die zusätzlichen Mittel, die die Flugticketabgabe so bedeutend machen: Das Besondere daran ist, dass es eine international vereinbarte gemeinsame Initiative von Industrie- und Entwicklungsländern ist und dass die Mittel sehr kontinuierlich und sehr verlässlich sprudeln.

Ihnen fehlt allein der Mut: Sagen sie den Menschen doch, wofür sie dieses Geld verwenden wollen: sagen sie ihnen, dass 30000 Kinder, die täglich an vermeidbaren Krankheiten sterben, dringend unterstützt werden müssen. Dazu reicht dieser Beitrag natürlich alleine nicht aus, aber er signalisiert der Weltöffentlichkeit, dass auch Deutschland dabei ist, seinen Beitrag leistet.

Tatsächlich beunruhigend ist, dass sie keinerlei Anstalten machen Deutschland entsprechend seiner wirklichen Wirtschaftskraft und seiner internationalen Rolle als Exportweltmeister neu zu positionieren. Sie überstrapazieren die Geduld des Papiers, auf das sie ihre Koalitionsvereinbarungen mit dem Bekenntnis zum 0,7-Prozent-Ziel und zu innovativen Finanzierungsinstrumenten niedergeschrieben haben. Sie sind handlungsunfähig, weil der Wirtschaftsminister auf dem Schoß der Flugunternehmen sitzt und der Finanzminister vor einer Solidarabgabe auf Flugtickets Angst hat. Kleinmütiger kann man die wirklich immensen Herausforderungen, die uns die Globalisierung stellt, doch nicht angehen.  

Video: Rede zur EU-Lateinamerika-Debatte

Video: Rede zur Biosprit-Debatte

Video: Haushaltsrede

Linktipp: Videos von den Reden Thilo Hoppes in der Mediathek des Deutschen Bundestages.

Bitte beachten Sie auch meine Parlamentarischen Anträge