Spätabtreibung
Vizepräsidentin Petra Pau: Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum Schluss der Debatte noch eine Position, die sich von dem bisher Gesagten in einem Punkt unterscheidet. Ich rede für eine noch kleine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen aus vier Fraktionen, die sich für eine wirklich verbindliche psychosoziale Beratung durch Beratungsstellen einsetzen. Ich bitte Sie herzlich, alle alten Grabenkämpfe und auch völlig unpassende Rechts-Links-Einordnungen bei diesem Thema beiseitezuschieben und sich einmal vorurteilsfrei folgender Konfliktsituation zu stellen: Nach dem Befund "behindertes Kind" gibt es kein Problem, wenn die betroffene Frau oder das betroffene Paar auf einen verständnisvollen, einfühlsamen, verantwortungsbewussten Arzt oder eine Ärztin trifft, der oder die auch wirklich gut beraten und die Betroffenen begleiten. Es kann aber auch anders kommen, wie mir das von mehreren berichtet wurde, zum Beispiel von einer jungen Frau, die mir geschrieben hat: Der Arzt zeigte mir das Ultraschallbild und sagte als Erstes: Sind Sie wirklich sicher, dass Sie das noch austragen wollen?
Ich habe in der eigenen Verwandtschaft den Fall erlebt, dass eine Mutter nach einer entsprechenden Diagnose gar nicht erst gefragt wurde, wie es ihr damit geht, sondern dass ihr von zwei Ärztinnen der Abbruch nahegelegt wurde. Sie hat sich trotz großer Zweifel, trotz großer Verunsicherung gegen einen Abbruch entschieden und ein kerngesundes Kind zur Welt gebracht. Ich weiß nicht, wie oft so etwas geschieht. Möglicherweise ist das ein krasser Einzelfall. Aber wir wissen aus Untersuchungen, dass sich viele Frauen, viele Paare schlecht beraten und alleingelassen fühlen.
(Zuruf von der SPD: Man muss die Ausbildung der Ärzte verbessern!)
Jetzt möchte ich auf eine Schwachstelle der drei Gesetzentwürfe hinweisen, die wir grundsätzlich sehr begrüßen. Was passiert in einem solchen Fall? Der Arzt, der zu einer pränatalen Untersuchung geraten und eine Vielzahl solcher Untersuchungen durchgeführt hat, würde in die Pflicht genommen, psychosozial zu beraten
(Christel Riemann-Hanewinckel [SPD]: Nein, der kann das doch gar nicht!)
oder auf entsprechende Beratungsstellen hinzuweisen. Er ist dafür aber gar nicht ausgebildet. Unsere Befürchtung ist, dass diese gesetzliche Pflicht formal abgetan werden kann, indem ein Arzt ähnlich wie vor einer Untersuchung, vor einer Operation sagt: Aufgrund neuer gesetzlicher Vorschriften bin ich verpflichtet, Sie auf dieses und jenes hinzuweisen, Ihnen eine Broschüre zu überreichen und Sie auf das Angebot von Beratungsstellen aufmerksam zu machen. Dieses Angebot müssen Sie nicht annehmen. Sie können eine Verzichtserklärung unterschreiben und quittieren, dass ich meine Pflicht erfüllt habe. - Das Ganze ist dann ein Akt von wenigen Sekunden.
Wir wollen nicht mehr und nicht weniger als das, was bereits im "normalen" Schwangerschaftskonfliktfall gilt: dass eine psychosoziale Beratung in Anspruch genommen werden muss, bevor dann am Schluss die Indikation erstellt wird.
Ist man in dieser Debatte ehrlich, so erkennt man: Es gibt de facto eine Entscheidungsfreiheit. Ich glaube, es ist auch gut so, dass man keine Frau gegen ihren Willen zwingt, ein behindertes Kind auszutragen. Wenn das aber so ist, dann müssen wir wirklich alles dafür tun, dass diese Frauen, diese Paare optimal begleitet werden und nicht nur eine Beratung durch den Gynäkologen erhalten, sondern auch Unterstützung seitens einer Beratungsstelle, durch Berater und Beraterinnen, die dafür auch wirklich ausgebildet sind.
Das ist die Zielrichtung unseres Anliegens. Ich möchte Sie herzlich bitten, im Rahmen der Anhörung auch diese Vorschläge vorurteilsfrei zu prüfen.
Danke schön.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD und der FDP)