Neue Nahrungsmittelhilfekonvention
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche jetzt einmal, für etwas Entwirrung zu sorgen. Wir diskutieren jetzt nicht über einen Antrag, mit dem versucht wird, die Ursachen des Hungers in der Welt zu erklären oder umfassende komplexe Hungerbekämpfungsstrategien in den Vordergrund zu stellen. Wenn wir so eine Debatte führen, dann gehören natürlich die ungerechten Handelsstrukturen oder auch die Konzentration auf die ländliche Entwicklung in der Entwicklungszusammenarbeit dazu. Es gab ‑ auch in der Kritik dieses Antrags ‑ viele gute Vorschläge, aber es ist kein komplexer Hungerbekämpfungsantrag. Vielmehr konzentrieren wir uns hier auf ein Instrumentarium: auf die Nahrungsmittelhilfe.
Es ist manchmal schwer, zu erklären, dass es auf beiden Seiten große Probleme gibt. Ganz aktuell gibt es durch die dramatisch gestiegenen Lebensmittelpreise bedrohliche Engpässe. Es droht sogar die Einstellung der Luftbrücke nach Darfur. Die Essensrationen für 2 Millionen Menschen werden bereits gekürzt, weil die Mittelzusagen nicht ausreichen. Einige Rednerinnen und Redner haben das schon dargelegt. Das Welternährungsprogramm ruft um Hilfe und sagt: Wir brauchen ganz schnell mehr Geld, um die Hungernden in Darfur nicht im Stich zu lassen.
Angesichts dieser Krise ist es schwer, der Öffentlichkeit zu erklären, dass man auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen kann. Es ist noch gar nicht lange her, dass in Afghanistan zu viel und auch falsch flankierte Nahrungsmittelhilfe geleistet wurde, was dazu geführt hat, dass Tausende von Bauern in den Ruin getrieben und die Märkte zerstört wurden. Es geht also darum, die Nahrungsmittelhilfe richtig zu flankieren und richtig dosiert einzusetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Darum geht es in diesem Antrag. Das heißt, die negativen Effekte, die das Welternährungsprogramm in der Vergangenheit mit ausgelöst hat, sind zu beenden. Kollegin Pfeiffer hat bereits dargestellt, dass Deutschland vor einigen Jahren die Konsequenzen gezogen hat und Agrarüberschüsse nicht mehr als Nahrungsmittelhilfe auf den Märkten der Dritten Welt ablädt. Das geschieht anderweitig in Form von Agrarexporten, die subventioniert werden ‑ über den Schweinefleischexport werden wir an anderer Stelle noch zu reden haben ‑, aber eben nicht mehr im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe. Es geht darum, mit starker deutscher Unterstützung jetzt eine Konvention auf den Weg zu bringen, die diese Mängel der alten Nahrungsmittelhilfekonvention, die aus den 60er-Jahren stammt, wirklich behebt.
Wir als Fraktion der Grünen haben einen Antrag eingebracht. Ich freue mich, dass dieser Antrag nun ein Drei-, Vier- oder vielleicht sogar noch ein Fünf-Fraktionen-Antrag wird, der von allen unterstützt wird. Es ist klar, dass man in einem solchen Verfahren, in dem man die Mehrheit für seinen Antrag bekommen möchte und in dem man mit anderen verhandelt, Kompromisse machen muss. Aber die wichtigste Forderung, nämlich dass sich die neue Nahrungsmittelhilfekonvention zu allererst an dem Recht auf Nahrung auszurichten hat, an den Menschenrechten, und sie die Interessen und Bedürfnisse der Hungernden in den Mittelpunkt stellt, nicht aber die Frage, wie hoch gerade die Getreideüberschüsse oder die Preise sind, steht an oberster Stelle in dem Antrag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Auch die Beteiligung der Empfängerländer, die vorher nur eine Art Gaststatus hatten, und der NGOs ist enthalten. Es stimmt nicht, dass diese wieder ausgeladen wurden.
Die WTO soll nicht Mitglied der Nahrungsmittelhilfekonvention, nicht Mitglied des Boards werden, aber bei der Regelung von Nahrungsmittelhilfe spielt die WTO eine wichtige Rolle, ob wir das wollen oder nicht; denn über die WTO muss die handelsverzerrende, kommerzielle Nahrungsmittelhilfe, also der Missbrauch von Nahrungsmittelhilfe, reglementiert werden. Gleichzeitig muss innerhalb der WTO eine Safe Box geschaffen werden, die die wirkliche Nothilfe nicht behindert, sondern effektiv gestaltet. Deswegen ist ein Konsultationsprozess nach wie vor notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will aber nicht verschweigen, dass es bei zwei Punkten auch schmerzhafte Kompromisse gegeben hat. Wir meinen nicht, dass es den Erfordernissen der Zeit entspricht, dass die Nahrungsmittelhilfekonvention beim Internationalen Getreiderat in London angesiedelt ist. Wir hätten uns gewünscht, dass sie unter das Dach der Vereinten Nationen kommt. Es gibt nun zwar eine offene Formulierung, die in diese Richtung zeigt, man drückt sich aber noch vor einer klaren Aussage.
Der andere Punkt ist schmerzhafter. Diesen Kompromiss machen wir nur mit Bauchschmerzen mit. Wir haben gefordert, dass die Verpflichtungen der Geberländer so gestaltet werden, dass sie unabhängig von der Entwicklung der Getreidepreise sind. Darin waren wir Fachpolitiker im AWZ uns einig. Die Haushälter der Koalition haben unsere Forderung herausgestrichen. Sie hatten Angst davor, dass dann, wenn die Getreidepreise steigen, wie es zurzeit der Fall ist, gewaltige Nachforderungen erforderlich würden. Ich denke, wir sollten nach wie vor für unsere Forderung streiten. Es geht hier um humanitäre Hilfe, um Nothilfe, die buchstäblich Menschenleben rettet. Die darf doch um Gottes Willen nicht davon abhängig gemacht werden, wie hoch oder tief gerade der Getreidepreis ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Da bitte ich Sie alle, gerade die Fachpolitiker, die im Bereich Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe aktiv sind, weiter zu kämpfen. Ich bitte die Bundesregierung, eine entsprechende Position einzubringen und die humanitäre Hilfe nicht vom Getreidepreis abhängig zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)