Landrechte stärken – „land grabbing“ in Entwicklungsländern verhindern
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reagieren mit unserem Antrag auf eine sehr besorgniserregende Entwicklung. In jüngster Zeit verstärkt sich der Trend, dass Unternehmen und Regierungen wohlhabender Länder riesige Flächen fruchtbaren Ackerlandes in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, aufkaufen oder pachten, um auf diesen Flächen Nahrungsmittel für den Eigenbedarf oder Biospritpflanzen anzubauen. Manche dieser Investoren wollen auch einfach nur mit Grund und Boden spekulieren.
Presseberichten zufolge hat vor kurzem ein US-amerikanischer Investmentfonds einem südsudanesischen Milizenführer, also einem Warlord, die gigantische Fläche von 400 000 Hektar abgekauft. Ob dieser überhaupt der rechtmäßige Besitzer war, ist höchst zweifelhaft; aber er hatte die Waffen und die Möglichkeit, diesen Deal auch umzusetzen.
Es gibt solch krasse Fälle von illegaler Landaneignung, es gibt aber auch vieles, was im Grunde genommen ähnlich ist, aber rechtlich in einem Graubereich liegt. In vielen Fällen sind es arabische Ölstaaten, in einem speziellen Fall ist es ein koreanischer Konzern, die von zwar gewählten, aber doch recht schwachen und oft korrupten Regimen riesige Landstriche kaufen oder pachten. Auf den ersten Blick ist das legal. Bei genauerem Hinsehen erkennt man aber, dass das, wie gesagt, oft mit Korruption oder der Missachtung traditioneller Landrechte oder des elementaren Menschenrechts auf Nahrung verbunden ist.
All diese Formen illegaler oder illegitimer Landaneignung werden in dem neudeutschen Begriff Land- Grabbing, also Land-Grapschen, zusammengefasst. Wir haben es hier mit einer neuen Welle des Kolonialismus zu tun. Haben die Kolonialmächte früher Länder mit Waffengewalt erobert, geschieht es heute mit dem Scheckbuch: Ganze Regionen werden einfach gekauft oder gepachtet.
Diese Landstriche sind aber nicht menschenleer. Meistens leben dort Kleinbauern, die dort schon seit Generationen für den Eigenbedarf, für lokale oder regionale Märkte Nahrungsmittel anbauen, oft jedoch keine eingetragenen Grundbuchtitel vorweisen können. Die Folge von Land-Grabbing ist sehr oft, dass die Kleinbauern vertrieben werden. Wenn sie die einzige Ressource, die sie zum Überleben haben – Grund und Boden –, verlieren, sind sie gezwungen, entweder in die Slums abzuwandern oder sich bestenfalls als Tagelöhner auf den Plantagen zu verdingen, oft nur zu Hungerlöhnen.
(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Wenn sie Glück haben!)
In manchen Ländern hat dieses Land-Grabbing schon zu sozialen Unruhen geführt, auf Madagaskar sogar zum Sturz der Regierung.
Wenn zwielichtige Investmentfonds oder Staaten wie Saudi-Arabien, einige andere Ölstaaten oder China – also Staaten, die es mit den Menschenrechten eh nicht so genau nehmen – Land-Grabbing betreiben, gibt es allseits Kritik. IFPRI, das renommierte Internationale Forschungsinstitut für Nahrungsmittelpolitik, hat allerdings herausgefunden, dass auch etliche deutsche, englische und schwedische Unternehmen an dem Run auf den knappen Rohstoff Land beteiligt sind. Es sind also nicht allein die bekannten Bad Guys.
Um nicht missverstanden zu werden: Nicht jeder Erwerb von Grund und Boden in Entwicklungsländern durch ausländische Investoren soll unter Generalverdacht gestellt werden. Es gibt durchaus sinnvolle, entwicklungspolitisch wertvolle Investitionen, durch die Arbeitsplätze gesichert und bei denen Sozial-, Umwelt und Menschenrechtsstandards eingehalten werden.
Bei genauerem Betrachten muss man aber leider feststellen: Das sind Ausnahmen. Die meisten dieser Landnahmen sind mit Vertreibung und Verelendung verbunden. Ich könnte eine lange Reihe von Beispielen aufzählen, nicht nur Beispiele aus Afrika, auch Beispiele aus Indonesien, Kolumbien und vielen anderen Ländern der Welt.
Der Energiehunger der Industrienationen – auch unser Energiehunger – hat den Run auf den Rohstoff Land und die Spekulation mit Grund und Boden natürlich weiter angeheizt. Es trifft leider, wie so oft, die Schwächsten, die Ärmsten der Armen, diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten können, diejenigen, die keine Lobby haben, diejenigen, die sich nicht wehren können.
Dieser Trend erfordert die Reaktion der Politik. Zunächst einmal muss eine Bestandsaufnahme gemacht werden, in welcher Größenordnung sich zurzeit Land-Grabbing ereignet. Zweitens stehen wir vor der Herausforderung des Gegensteuerns und Regulierens. Ein Code of Conduct, ein freiwilliger Verhaltenskodex reicht da nicht aus. Multilaterale Organisationen, vor allem die FAO, sind gefordert, verbindliche, einklagbare Standards auszuarbeiten.
Ich fordere die Bundesregierung auf, dieses Thema, das noch nicht genügend Beachtung findet, auf die Agenda zu setzen und Konferenzen dazu abzuhalten. Wir im Entwicklungsausschuss machen dies. Wir haben für die nächste Sitzung den neuen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, eingeladen, uns diese Entwicklung genauer vorzustellen. Das ist ein Auftakt.
Ich fordere Sie auf, Aktivitäten wie den Antrag, den wir eingebracht haben, zu unterstützen, und zwar in dieser und in der nächsten Legislaturperiode. Hier muss unbedingt reagiert werden.
Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Hoppe, achten Sie bitte auf die Zeit.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir dürfen nicht zulassen, dass den Schwächsten und Ärmsten der Grund und Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)