Haushaltsrede: Einzelplan wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Thilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Borchert, Sie sind gerade stark auf die ländliche Entwicklung eingegangen. Da sprechen Sie mir aus dem Herzen.
(Hellmut Königshaus [FDP]: Uns auch!)
Das möchte ich mit Nachdruck unterstützen. Ich habe dieses Thema jetzt nicht besonders herausgegriffen, weil wir höchstwahrscheinlich in der nächsten Woche über zwei oder drei Anträge zur ländlichen Entwicklung diskutieren werden.
In einem Punkt möchte ich Ihnen aber widersprechen. Sie haben einen Gegensatz zwischen der Unterstützung für ländliche Entwicklung und Maßnahmen gegen den Klimawandel aufgebaut. Dies muss konsequent zusammengebracht werden. Auch Sie wissen: Die Art und Weise, wie Landwirtschaft betrieben wird, kann entweder ein Beitrag zum Klimaschutz sein, wenn sie denn angepasst ist, oder kann das Klimaproblem verschärfen. Einerseits sollen mehr Gelder für ländliche Entwicklung bereitgestellt werden - das ist absolut richtig und gut -, aber wir sehen mit Sorge, dass andererseits Programme angeschoben werden nach dem Motto: Wir düngen die Welt mit Stickstoffdünger, wir überziehen die Welt mit Pestiziden und Insektiziden.
(Dr. Karl Addicks [FDP]: Zum Glück haben wir diesen Dünger!)
Dies kann ein Beitrag sein, der die Klimakatastrophe sogar verschärft. Wir brauchen also eine angepasste grüne Revolution im doppelten Sinne, auch eine ökologische grüne Revolution.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn man die Summen auf sich wirken lässt, über die von diesem Pult und in diesem Haus in den letzten Tagen und Wochen im Rahmen der Finanzmarktdebatten und im Rahmen der Debatten über die Konjunkturprogramme diskutiert wurde, dann fällt es ein bisschen schwer, jetzt in die Detailarbeit zu gehen und über die vergleichsweise kleinen Summen des Einzelplans 23 zu diskutieren. Ich möchte eine Relation herausgreifen. In der Koalition wird allen Ernstes darüber diskutiert - es ist nur eine Idee -, jedem Beschäftigten in Deutschland 500 Euro zu schenken, die dann aber bitte ganz schnell ausgegeben, konsumiert werden sollen, um die Konjunktur anzukurbeln.
(Hellmut Königshaus [FDP]: Nicht zu schenken! Zurückzugeben!)
Wir diskutieren im Entwicklungsausschuss über ein Fünftel der Menschheit, über Menschen in Entwicklungsländern, die mit 350 Dollar im Jahr auskommen müssen und damit ihre Familien durchbringen müssen.
Wir befinden uns in einer Zeit ungeheurer Turbulenzen auf den Finanzmärkten, die zunehmend die Realwirtschaft erfassen. Präsident Lula hatte leider nicht recht, als er sagte, dass die Entwicklungs- und Schwellenländer von dieser Krise verschont bleiben würden. Die ärmsten Staaten befürchten, dass die ODA-Zusagen nicht eingehalten werden, dass die Gelder gekürzt werden. In Japan und vielen anderen Ländern sind solche Tendenzen schon zu beobachten.
Bedrückend ist die Befürchtung, dass durch die Finanzkrise die Bekämpfung des Klimawandels, des Hungers und der extremen Armut ins Abseits gedrängt wird. An diesem Wochenende findet die Internationale Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Doha statt. Aber über diese Konferenz liest man in den Zeitungen fast nichts. Sie ist jetzt schon ein bisschen ins Abseits gedrängt worden. Deshalb ist es enorm wichtig, dass man jetzt alle Kraft in diese Konferenz steckt. Von dieser Konferenz muss das folgende Signal ausgehen: Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir werden gemeinsam mit den Entwicklungs- und Schwellenländern Auswege aus der Krise suchen. Wir werden die gemachten Zusagen tatsächlich einhalten.
Schaut man sich einmal an, was Deutschland international zugesagt hat, dann wirkt die zugegebenermaßen erfreuliche Steigerung im Haushalt 2009 nicht wirklich überzeugend. Um dem Zwischenruf zuvorzukommen, der an dieser Stelle häufig kommt,
(Hellmut Königshaus [FDP]: Heute nicht!)
dass unter der rot-grünen Regierung die Steigerungsraten viel geringer waren, geben wir das zu und bedauern das auch. Es lag aber nicht an uns Grünen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist aber so!)
Auch das muss man nicht ständig wiederholen.
Wir müssen auch daran erinnern: Wenn die Bundesregierung, wie die Ministerin immer wieder beteuert, im nächsten Jahr tatsächlich 0,51 Prozent des Bruttonationalprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzt, dann müssten im nächsten Jahr 3 Milliarden Euro draufgesattelt werden. Das kann man ganz einfach ausrechnen. Das ist keine Unterstellung. Aus Budgetmitteln alleine werden diese Summen nicht kommen.
Deshalb muss ich den Dreiklang wiederholen. Wo bleiben Ihre innovativen Finanzierungsinstrumente?
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Die haben wir doch längst! Wo sind Sie denn?)
Wir brauchen Entschuldung, wir brauchen die Flugticket-Tax, und wir brauchen die Finanztransaktionssteuer. Sie berufen sich einzig und allein auf die Erlöse aus dem Zertifikatehandel. Dafür sind 120 Millionen Euro eingestellt.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Es ist viel mehr, als die Ticket-Tax jemals aufbringen würde!)
Wo aber sind die Steigerungsraten? Das ist alles Spekulation. Dafür gibt es noch nicht einmal Beschlüsse. Noch bleiben Sie den Beweis schuldig, dass Sie dieses Ziel tatsächlich erreichen können und erreichen werden.
Meine Fraktion hat Änderungsanträge zum Entwicklungsetat eingebracht. Ich möchte bei dieser Gelegenheit ein Protokoll, das zirkuliert, berichtigen, das einen Fehler enthält. In dem Bericht des Haushaltsausschusses steht, FDP und Grüne hätten Anträge eingebracht, die zu Senkungen der Haushaltstitel führen, um die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu entlasten. Das ist ein ausdrücklicher Fehler, der auch an die Öffentlichkeit gelangt ist. Die Grünen haben Anträge eingebracht, die Mehreinnahmen bzw. Steigerungen in Höhe von 450 Millionen Euro vorsehen. Die FDP hat ein dickes Kohärenzproblem. Sie hat im Entwicklungsausschuss Anträge eingebracht, die Steigerungen in Höhe von 34 Millionen Euro vorsehen. Das ist richtig so. Aber Ihr Haushälter, Herr Koppelin, hat Streichungen von 450 Millionen Euro beantragt. Da geht es also weit auseinander.
Der Bericht trifft auf die FDP zu, aber nicht auf die Grünen. Wir sind für Steigerungen in Höhe von 450 Millionen Euro und wissen, es müsste eigentlich noch mehr sein. Aber unsere Haushaltspolitiker wollten eine solide Gegenfinanzierung vorlegen, die sofort umsetzbar ist.
(Hellmut Königshaus [FDP]: Es kommt häufig vor, dass der Haushaltsausschuss eine andere Auffassung hat!)
Wir haben das genau ausgerechnet. Die Flugticket-Tax, die man sofort umsetzen kann - in Frankreich hat es auch keinen Volksaufstand gegeben; dort ist es praktiziert worden -, würde genau den Steigerungsraten, die wir beantragt haben, entsprechen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich! Die in Frankreich haben keine Ahnung von den Summen!)
Die Finanzmarktkrise - der Fastbankrott vieler Länder - hat uns vor Augen geführt, dass eine andere Diskussion, die wir mehrfach angestoßen haben, jetzt aktueller denn je ist: die Einführung eines internationalen Insolvenzrechtes. Aber von der Bundesregierung gibt es keinerlei Initiativen, die in diese Richtung gehen. Vielleicht führt die Diskussion in Doha in eine andere Richtung und gibt Anstöße.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Bestimmt! Da sind ja auch wir dabei!)
Es ist immer wieder zu beobachten, dass es gute Positionen aus den Entwicklungsministerien gibt, die aber von anderen Häusern wieder kassiert werden. Ich erinnere an die unselige Diskussion über die EU-Milliarde. Zunächst hatte Frau Kommissarin Fischer Boel und dann Kommissionspräsident Barroso angesichts der dramatischen Welternährungskrise vorgeschlagen, 1 Milliarde Euro unverbrauchter Mittel aus dem Agrarhaushalt zur Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern in den Entwicklungsländern umzuwidmen.
(Hellmut Königshaus [FDP]: Freihändig sozusagen!)
In Accra gab es zu Recht Riesenbeifall, auch von der Ministerin, die dafür gekämpft hat. Aber Herr Seehofer und jetzt Frau Aigner fanden, es ist notwendig, dass die deutschen Bäuerinnen und Bauern dieses Geld zurückbekommen bzw. die europäischen Bauern das Geld behalten dürfen; denn sie bekommen ja auch nur 54 Milliarden Euro jährlich an Subventionen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Nein! Das ist in Brüssel entschieden worden! Ich glaube, Sie haben keine Ahnung, Herr Hoppe! - Hellmut Königshaus [FDP]: Man kann doch nicht einfach 1 Milliarde hin- und herschieben! So ein Quatsch!)
- Der Vorschlag des Kommissionspräsidenten Barroso war abgestimmt und rechtlich einwandfrei. -
(Hellmut Königshaus [FDP]: Ja! Mit der Ministerin! - Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
In der Präambel zur EU-Agrarpolitik steht, dass sie auch Beiträge zur Sicherung der Welternährung leisten soll. Würde man das Geld den Kleinbauern in den Entwicklungsländern geben, wäre das ein Beitrag entsprechend der Präambel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hellmut Königshaus [FDP]: Ja! Es müsste halt richtig gemacht werden!)
Dies wurde - wie gesagt - von der Entwicklungsministerin direkt unterstützt, aber von Herrn Seehofer bzw. von Frau Aigner - auch Herr Steinbrück war dagegen - einkassiert. Was jetzt in Europa geschieht - dass man diese 1 Milliarde Euro zur Verfügung stellt, sie aber aus dem Entwicklungsetat nimmt, also aus Geldern, die ohnehin vorgesehen waren -, ist ein plumper Etikettenschwindel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sind keine zusätzlichen Gelder. Das ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Man sollte diese Niederlage eingestehen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Unsinn!)
Da ich meine Redezeit bereits weit überschritten habe,
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ja! Das ist wirklich schade!)
komme ich zum Schluss. Ihre Ankündigungen waren gut. Das, was im Entwicklungsetat tatsächlich enthalten ist, ist aber viel zu dünn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Das ist wie bei meinem Pastor! Der sagt auch immer: In der Kollekte ist zu wenig!)