Einschätzung des Koalitionsantrages zu landgrabbing in Entwicklungsländern

Es ist erfreulich, dass sich die Fraktionen der Union und FDP nun auch dem überaus wichtigen Thema der großflächigen Landnahme in Entwicklungsländern annehmen. Bereits vor zwei Jahren hatten wir Grünen hierzu einen Antrag eingereicht und durch diverse Fachveranstaltungen, Pressemitteilungen und Anhörungen auf die Dringlichkeit der Problematik hingewiesen. Endlich scheinen wir die Regierungskoalition überzeugt zu haben.

Dennoch greift der Antrag in vielen Punkten zu kurz. Die menschenrechtliche Frage wird sehr einseitig beleuchtet. So wird das Recht auf Nahrung nur ein einziges Mal erwähnt, während das Recht auf Eigentum den ganzen Text wie einen ultimativen Imperativ durchzieht.  Dabei geht es bei dem Phänomen – neben zahlreichen anderen ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen – im besonderen um die Frage der Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung. Werden riesige Landstriche von ausländischen oder nationalen Investoren aufgekauft oder gepachtet und stehen somit nicht mehr für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Selbstversorgung der dort wohnenden Menschen zur Verfügung, dann ist das eine eklatante Beschneidung des Rechts aus Nahrung.  Auch die "Grundprinzipien und Leitlinien zu Zwangsräumungen und Zwangsvertreibungen" des UN-Menschenrechtsrats werden nicht erwähnt, obwohl groß angelegte Landinvestitionen häufig die zwangsweise Vertreibung von Kleinbäuerinnen und –bauern nach sich ziehen.

Wie bereits erwähnt, preist der Antrag stattdessen das Recht auf Besitz und Eigentum als Allheilmittel im Kampf gegen Land Grabbing an. Gewiss kann die Verbriefung von Landnutzungsrechten in einigen Fällen Kleinbäuerinnen und –bauern mehr Planungssicherheit geben, zumal sich heute viele der von Landnahme Betroffenen nicht wehren können, da sie über keine offiziellen Titel verfügen, obwohl ihre Familien das Land über Generationen hinweg bewirtschafteten. Allerdings ist hier große Vorsicht geboten. Denn allein der juristische Absicherung von Landbesitz bedeutet noch keine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und Ernährungssituation der neuen Titelhälterinnen – und hälter. Werden nicht gleichzeitig andere ungerechte lokale und globale Wirtschaftsstrukturen angegangen, ist es wahrscheinlich, dass die Betroffenen schnell wieder in die Schuldenfalle geraten und ihr Land aus Not an Investoren verkaufen oder verpachten. Durch die Formalisierung des Landbesitzes wird der Ausverkauf  von Land in solchen Fällen sogar erleichtert. Ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis aus Land- und Arbeitslosigkeit, Verstädterung, Verelendung und politischer Ohnmacht ist damit jedenfalls nicht in Sicht.

Ein besonderes Augenmerk ist auch auf nomadisch lebende Viehhirten zu legen. Bei der Ausstellung formeller Landtitel kann es hier leicht zur Benachteiligung dieser Gruppen kommen, da die exakten Ausmaße der Landflächen, die sie für ihre Herden benötigen, schwer abzustecken sind. Des weiteren gehen die Antragstellerinnen und –steller nicht darauf ein, wie mit kollektiv genutztem Land, das auf Gewohnheitsrecht basiert, umgegangen werden soll. Dass hier zwei grundsätzlich verschiedene Verständnisse von Land – einerseits die Idee von Land als Allgemeingut, das auch kulturelle und soziale Dienste erfüllt, andererseits Land als reine Ware – aufeinanderprallen, wird schlichtweg unter den Teppich gekehrt. Ein nicht unerhebliches Versäumnis, da diese Formen von Landnutzung in großen Teilen des globalen Südens eine bedeutende Stellung einnehmen. Umso wichtiger ist die Einbeziehung der Zivilgesellschaft und der betroffenen Landbevölkerung bei jedem Land-Deal. Der vorliegende Antrag hält dies wohl nicht für nötig; Regierungen sollen nur dahingehend beraten werden, dass sie "die Belange der betroffenen ortsansässigen Bevölkerung und die Risiken für die Umwelt berücksichtigt werden".  Das ist eindeutig unzureichend.

Erfahrungen aus Landtitelprogrammen in Südostasien zeigen, dass in jenen Regionen, die nicht unter die Programme fielen, die Lebensgrundlage von Kleinbäuerinnen und –bauern ohne solche verbrieften Rechte sogar eher gefährdet als geschützt wurden. Denn nun war es leichter für Großplantagenbetreiber das Land an sich zu reißen – schließlich gehöre es offiziell niemandem.  

Die rechtliche Eintragung von Besitz und Eigentum kann ohne vorherige Umverteilung sogar zu einer Zementierung extremer Verteilungsungleichheiten führen. In unserem Antrag fordern wir Agrarreformen, die auch Umverteilung einschließen, da diese ein essentieller Bestandteil für eine gerechtere Landpolitik vor allem in ländlichen Regionen darstellen. In dem Antrag der Regierungskoalition geht eine Umverteilung völlig unter – außer mit dem Vermerk, dass "ein transparentes und rechtsstaatliches Vergabesystem zu errichten sei, das es ermöglicht, Eigentum und langfristige Bewirtschaftungsrechte zu erwerben". Dabei bleibt unklar, ob hiermit ein rein marktwirtschaftliches System angestrebt wird, was wiederum ein Schlag ins Gesicht der Ärmsten der Armen ist, die sich auf diesem Weg niemals eigenes Land leisten können.

Was die Forderung zum Engagement auf internationaler Ebene angeht, bleibt die Formulierung schwammig. Es wäre gut zu wissen, zu welchen "anderen internationalen Initiativen" neben den freiwilligen Leitlinien der FAO  genau beigetragen werden soll. Vermutlich wird hier auf die Weltbank Prinzipien zu verantwortlichem Investment angespielt (RAI-Prinzipien). Beide Prozesse in gleichem Maße zu unterstützen halten wir für wenig sinnvoll, da so Parallelstrukturen geschaffen werden und die Autorität der freiwilligen Leitlinien aufgeweicht wird. Wir sprechen uns klar für die FAO Richtlinien aus, für deren weitere Ausgestaltung die Bundesregierung dringend mehr finanzielle und organisatorische Kapazitäten zur Verfügung stellen sollte.

Insgesamt lässt sich sagen, dass trotz des Hinweises auf die Gefahren von ausländischen Direktinvestitionen - dieser Begriff wird trotz des Antragstitels bevorzugt – die Landnahmen in ein unangemessen mildes Licht gestellt werden. Die bisher größte Konferenz zu dem Thema, zu der sich 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor wenigen Tagen in Sussex versammelten, kam zu dem Schluss, dass der Hunger nach Land gewaltige und unumkehrbare negative Auswirkungen auf Umwelt und Menschen der betroffenen Länder hat.  

 

 

Video: Rede zur EU-Lateinamerika-Debatte

Video: Rede zur Biosprit-Debatte

Video: Haushaltsrede

Linktipp: Videos von den Reden Thilo Hoppes in der Mediathek des Deutschen Bundestages.

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