Deutsch-brasilianischen Atomvertrag ersetzen
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein kurzer Blick zurück in das Jahr 1975: In Brasilien herrscht eine Militärjunta, in Bonn die sozial-liberale Koalition unter Helmut Schmidt. Der Nuklearenergie steht man noch sehr fortschrittsgläubig und unkritisch gegenüber. Ein deutsch-brasilianisches Atomabkommen wird ausgehandelt und unterzeichnet, das die Lieferung von acht deutschen Atomkraftwerken nach Brasilien vorsieht.
Zeitsprung in das Jahr 2004: Die Grünen und mehrere Abgeordnete der SPD, unter anderem Michael Müller, der Vorsitzende des Umweltausschusses, Ernst Ulrich von Weizsäcker und Hermann Scheer, machen mit einem Antragsentwurf Druck auf die Bundesregierung, die Gelegenheit zu nutzen, aus diesem anachronistischen Vertrag auszusteigen; denn wer im eigenen Land den Atomausstieg beschlossen hat, der macht sich unglaubwürdig, wenn er weiterhin mit dem Verkauf von Atomkraftwerken Geschäfte machen will.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch auf brasilianischer Seite stellen nicht nur Aktivisten von Greenpeace und andere Umweltschützer diesen Atomvertrag in Frage, sondern auch mehrere Mitglieder der Regierung Lula, unter anderem die Umweltministerin Marina Silva, aber auch die Energieministerin Rousseff.
In beiden Regierungen entwickelt sich ein kräftiges Tauziehen. Auf unserer Seite wäre das Wirtschaftsministerium, damals geführt von Wolfgang Clement, am liebsten beim alten Atomvertrag geblieben. Auswärtiges Amt, Umwelt- und Entwicklungsministerium plädieren für die Ablösung des alten Vertrages durch ein neues Energieabkommen, in dessen Mittelpunkt vor allen Dingen die Förderung der erneuerbaren Energien und die Förderung der Energieeffizienz stehen sollen. Es ging lange hin und her und war ein bisschen wie in einem Krimi. Aber plötzlich wurde auf beiden Seiten zumindest ein Teilerfolg erzielt. Es gab einen diplomatischen Notenwechsel mit dem Ergebnis, dass man auf beiden Seiten die Absicht bekundet hat, den Atomvertrag durch einen neuen Energievertrag mit dem Schwerpunkt der Förderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz abzulösen.
Ich selber habe damals alle beteiligten Ressorts zu einem Fachgespräch eingeladen, in dem der Frage nachgegangen worden ist, wie aus der Theorie Praxis werden kann und wie dieses neue Abkommen mit Leben erfüllt werden kann. Bei diesem Fachgespräch stand das Wirtschaftsministerium relativ isoliert da; denn es wollte als einziges Ressort gegen die anderen Ressorts zumindest eine klitzekleine nukleare Komponente in dieses neue Abkommen hineinretten. Der Streit zwischen den Ressorts konnte leider nicht mehr ausgefochten werden; denn dem Wirtschaftsministerium kam die vorgezogene Bundestagswahl zur Hilfe. So weit der Blick in die Vergangenheit 1975 und 2004.
Wo stehen wir jetzt? Nach wie vor ist der Notenwechsel von 2004 der Ausgangspunkt, also die Absicht, ein neues Abkommen auszuhandeln. Doch die Verhandlungen werden verschleppt. Sie kommen nur sehr mühsam voran. Nach wie vor gibt es auf beiden Seiten, auf der brasilianischen und auf der deutschen, ein Tauziehen, einen Streit zwischen den Ressorts. Aber das deutsche Wirtschaftsministerium hat Aufwind bekommen und vertritt jetzt stärker die Position, dass die nukleare Komponente auch in dem neuen Abkommen verankert und verewigt werden soll.
Auch auf der brasilianischen Seite scheint sich die Atomlobby stärker durchzusetzen. Es wird ernsthaft über Pläne diskutiert, dem einzigen Atommeiler Angra II, der in deutsch-brasilianischer Kooperation gebaut wurde, jetzt Angra III folgen zu lassen. Das ist sehr bedauerlich, weil gerade Brasilien die Nuklearenergie für den Energiesektor überhaupt nicht nötig hat. Möglicherweise eine Neuauflage des alten Großmachtstrebens aus den 70er-Jahren? Ich hoffe nicht.Denn es gibt, wie gesagt, auch in der brasilianischen Regierung nach wie vor ein kräftiges Tauziehen.
Wir haben deshalb den alten Antrag, der schon damals - zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen der SPD - vorbereitet war, wieder hervorgeholt. Wir haben ihn aktualisiert und legen ihn heute vor. Wir möchten die Bundesregierung bitten, Farbe zu bekennen und jetzt endlich zu sagen, ob sie an dem Atomausstieg, der im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist, wirklich festhält und ob solche anachronistischen Verträge im Sinne der Kohärenz von neuen Energieabkommen ohne nukleare Komponente abgelöst werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir hoffen, dass die Bundesregierung unser Anliegen teilt. Aber vielleicht ist das nur ein frommer Wunsch. Ganz eindringlich möchte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die damals Bündnispartner waren und mit uns gemeinsam für diese Sache gefochten haben, jetzt auffordern, Farbe zu bekennen und für dieses Erneuerbare-Energien-Abkommen zu streiten.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)