Reisebericht Honduras

Kurz vor der Amtseinführung des am 29. November 2009 gewählten Präsidenten Porfirio ("Pepe") Lobo reisten wir (die beiden Bundestags­abgeordneten Klaus Riegert und Thilo Hoppe) in unserer Eigenschaft als Mitglieder des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenar­beit und Entwicklung nach Honduras.

Honduras ist eines der Partnerländer der deutschen Entwicklungs­zusammenarbeit. Aus Protest gegen den Putsch vom 28. Juni letzten Jahres sind jedoch viele Maßnahmen der deutschen Entwicklungs­zusammenarbeit auf Eis gelegt worden. Die Europäische Kommission, die Mitgliedsländer der EU und auch die anderen in der G17 zusammen­geschlossenen und in Honduras tätigen Geberländer (u.a. USA, Kanada und Japan) hatten vereinbart, nicht mit der durch den Putsch an die Macht gekommenen Regierung unter de-facto-Präsident Roberto Micheletti zusammenzuarbeiten. Nur Projekte, die ohne Beteiligung der Zentralregierung direkt mit Kommunen oder Nichtregierungs­organisationen realisiert werden konnten, wurden weitergeführt.

Auch die Verhandlungen bezüglich des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Ländern Zentralamerikas wurden aufgrund des Putsches ausgesetzt.

Die unter Anwendung von Gewalt erfolgte Absetzung und Verschleppung von Präsident Manuel ("Mel") Zelaya war im letzten Jahr von den Vereinten Nationen, der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Europäischen Union einhellig verurteilt worden.

Da das unter Vermittlung der USA zustande gekommene (Friedens)abkommen von Tegucigalpa/San Jose von der de-facto-Regierung Michelettis nicht umgesetzt und die Presse- und Versamm­lungsfreiheit nicht in vollem Umfang wieder hergestellt worden war, hatten die UN, die OAS und die EU auch keine offiziellen Wahl­beobachter zu den Wahlen vom 29. November letzten Jahres entsandt.

Der durch den Putsch gestürzte Präsident Mel Zelaya, der sich bis zum 27. Januar in der brasilianischen Botschaft aufhielt,  und das Wider­standsbündnis "Resistencia" hatten zum Wahlboykott aufgerufen.

Da es keine offizielle, unabhängige internationale Wahlbeobachtung gab, kann schwer eingeschätzt werden, wie hoch die Wahlbeteiligung war. Die offiziellen Angaben und die der "Resistencia" gehen weit auseinander und reichten von "unter 30" bis 62 Prozent. Inoffizielle aber unabhängige lateinamerikanische Wahlbeobachter gehen von einem Wert um 45 Prozent aus. Das wäre zwar (etwas) weniger als in Honduras üblich – allerdings auch kein Erfolg des Wahlboykotts.

Die internationale Gemeinschaft ist uneins, wie sie die Wahl vom 29. November und den Wahlsieger, Pepe Lobo von der Nationalen Partei, bewerten und ihr Verhältnis zu Honduras gestalten soll.

Während die Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten – u.a. Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay und die ALBA-Länder – die Wahlen nicht anerkennen und der Regierung von Pepe Lobo sehr skeptisch gegen­überstehen, haben sich die USA, Kanada, Kolumbien, Panama und Costa Rica dazu entschlossen, trotz nach wie vor klarer Verurteilung des Putsches und heftiger Kritik an der Übergangsregierung von Roberto Micheletti das Wahlergebnis zu akzeptieren und Pepe Lobo eine Chance zu geben.

Für die Europäische Union erklärte der spanische Außenminister, man könne die Wahl "zwar nicht anerkennen – aber auch nicht ignorieren". Innerhalb der Europäischen Union gibt es in dieser Frage unterschiedliche Positionen.

Zur Amtseinführung von Pepe Lobo am 27. Januar waren auf Regie­rungschefebene nur Panama und Taiwan vertreten. Die Europäische Union war nach längerer Debatte übereingekommen, weder Regie­rungsmitglieder noch Botschafter zu entsenden – aber durch Botschafts­angehörige (Geschäftsträger, Gesandte) vertreten zu sein.

Ziel unserer Reise war es, neben den auf AWZ-Dienstreisen stets üblichen Projektbesuchen Informationen und Einschätzungen zur aktuellen Lage im Land zu sammeln. Besonders die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen die Kooperation mit der (neuen) hondu­ranischen Regierung wieder aufgenommen werden soll, wird sowohl in der honduranischen Gesellschaft als auch in der Gebergemeinschaft kontrovers diskutiert. Bezüglich dieser Frage diente die Reise auch unserer jeweils eigenen Positionsfindung.

Wir hatten die Möglichkeit, als letzte ausländische Gäste (Ex)-Präsident Mel Zelaya in der brasilianischen Botschaft zu treffen und – kurz vor dessen Amtseinführung – mit dem neu gewählten Präsidenten, Pepe Lobo, ein langes Gespräch zu führen.

Auf dem Programm standen ebenso ein Treffen mit der (zum Zeitpunkt der Reise designierten) 1. Vize-Präsidentin Maria Antonieta de Bogran, ein Round-Table-Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern aller im Parlament vertretenen Parteien, ein Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern des Widerstandsbündnisses "Resistencia", Round-Table-Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von sozialen Bewegungen, entwicklungsbezogenen Nichtregierungsorganisationen und Menschen­rechtsgruppen, ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des Industrie­verbandes sowie ein Empfang in der Deutschen Botschaft, bei dem es möglich war, u.a. mit Diplomaten mehrerer G17-Staaten sowie Vertretern der Kirche zu diskutieren.

Eine Exkursion in die Provinz Olancho gab uns die Gelegenheit, verschiedene Projekte der deutschen Durchführungsorganisationen GTZ, KfW und DED zu besuchen. Mit den Vertreterinnen und Vertretern dieser Organisationen führten wir intensive Gespräche – sowohl über die noch laufenden Projekte der deutsch-honduranischen Entwicklungs­zusammenarbeit als auch über Vorhaben, die aufgrund der Ereignisse vom 27. Januar bisher noch auf Eis liegen.

Bisheriges Fazit:

  • 1.   Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist in Honduras mit den drei Schwerpunktsektoren Umweltpolitik, Bildung und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung gut aufgestellt. Besonders die direkt mit Kommunen, Nichtregierungs­organisationen und Selbsthilfegruppen realisierten Vorhaben im Mikrofinanzwesen, in der regionalen Wirtschaftsförderung (Stärkung von Kleinst- und Kleinunternehmen), im Forst­management und in der Förderung von Erneuerbaren Energien (Klein-Solaranlagen für Dörfer, die bisher nicht ans Stromnetz angeschlossen sind) haben uns beeindruckt.
  • 2.   Die Formulierung des spanischen Außenministers, dass die Wahl vom 29. November "weder anerkannt noch ignoriert" werden kann, wirkt auf den ersten Blick zwar hilflos, ist unserer Meinung nach aber treffend. Die Wahl fand zwar in einem Klima der Repression statt und könnte deshalb als illegal bezeichnet werden. Andererseits hat es anscheinend am Wahltag kaum Manipulationen gegeben und das Ergebnis spiegelt den Willen eines relevanten Teils der honduranischen Bevölkerung wider. In diesem Dilemma ist das Drängen der internationalen Gemeinschaft auf die Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit" unter Beteiligung aller dialogbereiten politischen Parteien und Bewegungen sinnvoll.
  • 3.   In der komplizierten Lage, in der sich Honduras zur Zeit befindet, sollte die Regierung Lobo weder ignoriert noch hofiert werden. Es wäre falsch, dass Gespräch mit ihr zu ver­weigern. Es wäre aber genauso falsch, zu schnell und bedingungslos die Beziehungen wieder zu normalisieren.
  • 4.   Sowohl die Wiederaufnahme der stillgelegten Bereiche der Entwicklungs­zusammenarbeit als auch die Wiederaufnahme der Verhandlungen bezüglich des Assoziierungsabkommens EU-Zentralamerika sollten an Bedingungen geknüpft werden –und zwar an die Umsetzung der noch umsetzbaren Punkte des Abkommens von Tegucigalpa/San Jose (u.a. Einsetzung einer unabhängigen Wahrheitskommission unter externer Moderation) und einer deutlich spürbaren Verbesserung der Menschenrechtslage. Um dies überprüfen zu können, sollten EU, Bundesregierung und G17 eng mit honduranischen Menschen­rechtsverteidigern, Amnesty international und vor allem der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zusammenarbeiten. Das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika sollte ein Menschenrechtskapitel bekommen.
  • 5.   Sowohl in der Arbeit der politischen Stiftungen als auch in den Gesprächen zwischen der honduranischen Regierung und der Gebergemeinschaft sollten die Themen einen hohen Stellenwert bekommen, die nach Meinung vieler unserer Gespräch­spartner zur Staatskrise beigetragen haben und noch lange nicht gelöst sind:
  • -      die Schwäche der staatlichen Institutionen (besonders der Justiz und der Polizei)
  • -      die Unzulänglichkeiten des Bildungssystems
  • -      die Unzulänglichkeiten der Verfassung

 

 

Durch ein möglichst geschlossenes Auftreten der internationalen Gemeinschaft könnten Reform bereite Kräfte in Honduras gestärkt und notwendige Transformationsprozesse unterstützt werden.

 

 

 

 

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