Entwicklungskonferenz in Busan: Debatte über Methoden aber nicht über Werte und Ziele

Die drei Grünen in Busan
Thilo Hoppe, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Grüne Europaabgeordnete Ska Keller und die grüne Entwicklungsministerin Finnlands, Heide Hautala

Schon zur Eröffnung der internationalen Entwicklungskonferenz (4. High Level Forum on Aid Effectiveness), die Ende November in Busan (Südkorea) tagte, wurde deutlich, dass trotz all der schönen Worte in der mühsam ausgehandelten offiziellen Erklärung der Begriff Entwicklung ganz unterschiedlich aufgefasst und gefüllt wird.

Der gastgebende südkoreanische Präsident Lee Myung-bak präsentierte sein Land als Musterbeispiel einer erfolgreichen Entwicklung, dem die Staaten Afrikas nacheifern sollten. Innerhalb von 60 Jahren habe man es geschafft, vom armen Entwicklungsland zur wohlhabenden Industrienation aufzusteigen, die jetzt selber Entwicklungshilfe geben könne. Und er präsentierte dazu Bilder von Hochhausmetropolen, Hochleistungswerften und Hochgeschwindigkeitszügen.

Koreas Erfolgsrezept beruhe auf der intensiven Förderung von Bildung und Wirtschaftswachstum. Koreas Strategie als neuer Akteur im Bereich der Entwicklungshilfe sei zudem eng verzahnt mit Exportwirtschaftsförderung. Mit “goodies“ wie zinsverbilligten Darlehen werde Entwicklungsländern unter die Arme gegriffen, um so neue Märkte zu erschließen. So sollen auch die Menschen in Afrika zu mehr Wohlstand kommen, um die Produkte aus Korea zu kaufen: Autos von Hyundai, Kia und Daewoo, Handys, Computer und Fernseher von Samsung.

War da noch was? Tagte nicht gleichzeig die Klimakonferenz in Durban? Auch Korea hält viel von „green growth“, sieht das aber als einen zusätzlichen Markt an, der die herkömmliche Industriepolitik und Wachstumsstrategie nicht in Frage stellt. Zu all den Autos und konventionellen Kraftwerken will man nun auch noch Solaranlagen und Windräder produzieren und in alle Welt exportieren.

Entwicklung gleich Wachstum?

Entwicklung auf Koreanisch heißt Industrialisierung, Exportausrichtung, Wirtschaftswachstum mit ungebremsten Ehrgeiz: höher, schneller, weiter – immer mehr. Und Wohlstand heißt, immer mehr glitzernde Einkaufsmalls – Konsumtempel, die für alle offen sind. Dieses Entwicklungsmodell wurde in Busan offensiv zur Schau gestellt und von vielen beklatscht. Schließlich folgen auch China und viele andere aufstrebende Schwellenländer einer ähnlichen Industrialisierungs-, Export- und Wachstumsstrategie.

Ganz andere Töne schlug auf der Eröffnungsfeier überraschend die jordanische Königin Rania an. Zwar ging sie nicht auf den Klimawandel und die Grenzen des Wachstums ein, stellte aber die Ärmsten der Armen und die Unterdrückten in den Fokus ihrer Rede und klagte die größer werdende Kluft zwischen den Reichen und den Abgekoppelten und Ausgegrenzten an. Aus ihrem Mund klang das zwar etwas seltsam – schließlich ist sie nicht gerade als Verfechterin eines einfachen Lebensstils bekannt – aber immerhin wich sie der Gerechtigkeitsfrage nicht aus und erwähnte sogar die Occupy-Bewegung, die sich zu Recht über die größer werdenden Disparitäten – weltweit und innerhalb vieler Gesellschaften – beklage.

Nach dem beeindruckenden Auftritt der jordanischen Königin sah die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton mit ihrer sehr entwicklungstechnischen Rede zunächst ziemlich blass aus. Erst als sie sich zum Schluss ihrer Rede vom Manuskript löste, auf die Rede Ranias einging und mehr Frauenpower in der Entwicklungsdebatte forderte, kam im Publikum Begeisterung auf – vor allem unter den weiblichen Delegierten. Clinton ging auch auf den arabischen Frühling ein und betonte stark, dass Entwicklung und Demokratie untrennbar zusammengehörten. Dazu gehöre auch eine kritische Begleitung der Entwicklungspolitik durch eine aktive und freie Zivilgesellschaft. Clinton kündigte an, dass ihr Land der International Aid Transparency Initiative (IATI) beitreten und die Daten zu allen amerikanischen Entwicklungsprogrammen, -projekten und -krediten offen legen werde.

Während UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele und die Einhaltung der finanziellen Zusagen anmahnte (mit Extra-Lob für Großbritannien, das trotz Finanz- und Haushaltskrise das 0,7%-Ziel schon 2013 erreichen will), stellte der Sherpa der Zivilgesellschaft, Tony Tujan, vom neuen weltweiten Bündnis der Nichtregierungsorganisationen BetterAid, nicht nur die Einhaltung der finanziellen Zusagen ins Zentrum seiner Rede, sondern vor allem einen emanzipatorischen, menschenrechtsbasierten und ökologisch nachhaltigen Entwicklungsansatz. Er beklagte sich bitter darüber, dass in vielen Ländern – gerade auch in Entwicklungsautokratien – Nichtregierungsorganisationen zunehmend behindert, teilweise sogar unterdrückt und verfolgt werden. Charity sei willkommen, sogenannte advocasy, also Unterstützung und Beratung benachteiligter Minderheiten, aber nicht. Und mit erhobener Faust wertete Tujan auch die Tatsache, dass ihm als Vertreter der gesamten Zivilgesellschaft auf der langen Eröffnungsfeier nur ein zweiminütiger Kurzbeitrag zugestanden wurde (und auch das wohl erst auf Druck) als weiteren Beleg dafür, dass kritische Nichtregierungsorganisationen immer mehr an den Rand gedrängt werden.

Keine gemeinsamen Ziele

Vieles, was in Busan auf Foren, Sideevents und im Plenum diskutiert wurde, mutete sehr technisch an. Es ging eher darum, wie Entwicklungshilfe im Sinne eines besseren Preis-Leistungs-Verhältnisses effektiver werden könne, als um die politischen Ziele, die damit erreicht werden sollen.

Auch die vielen Formelkompromisse in der Schlusserklärung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein gemeinsames Entwicklungsverständnis gar nicht gibt. Doch ob man eine schnellstmögliche Industrialisierung anstrebt oder eine selbsttragende nachhaltige Entwicklung, die die natürlichen Ressourcen schont, ob man in erster Linie an Zugang zu Rohstoffen und der Erschließung von Absatzmärkten für die eigene Industrie interessiert ist oder vor allem den Aufbau von Wertschöpfungsketten in den Partnerländern unterstützen will, führt zu ganz anderen Strategien und Schwerpunktsetzungen.

Dass in Busan, anknüpfend an die Erklärungen der vorangegangenen Konferenzen von Paris (2005) und Accra (2008), über mehr Eigenverantwortung der Entwicklungsländer (ownership), gegenseitige Rechenschaftspflicht (accountability), mehr Transparenz, stärkere Nutzung der Institutionen der Systeme der Partnerländer und bessere Abstimmungen und Arbeitsteilungen unter den Geberländern gesprochen wurde, ist gut und wichtig. Dabei sind auch kleine Fortschritte erzielt worden. So ist aus „ownership“ (Paris), über „country ownership“ (Accra) jetzt „democratic ownership“ geworden, was zumindest den theoretischen Anspruch bedeutet, dass die Partnerländer bei der Herausarbeitung ihrer Entwicklungsprioritäten sowohl ihre Parlamente als auch die Zivilgesellschaft stärker einbeziehen und die Geberländer sie dabei partnerschaftlich unterstützen sollen.

Menschenrechte nur Randthema

Doch auf diesem Gebiet werden weiterhin große Lücken zwischen Theorie und Praxis klaffen. Vor allem neue Geber von Entwicklungshilfe wie China und Indien haben klar gemacht, dass für sie die Vereinbarungen von Paris und Accra nicht gelten. Und die ohnehin recht weichgespülte Schlusserklärung von Busan haben sie auch nur nach langem Zögern und nach Aufnahme von Unverbindlichkeits- und Sonderstatus-Klauseln unterzeichnet.

Auch wenn es viele alte Gebernationen als Erfolg ansehen, dass die neuen Akteure jetzt zumindest mit „im Prozess“ seien, in dem über Standards von Entwicklungszusammenarbeit gesprochen wird – festgelegt haben sich China und Indien in keinster Weise. Sie haben eher direkt oder indirekt dazu beigetragen, dass in der Busan-Erklärung nur am Rande von Menschenrechten die Rede ist. Ein menschenrechtsbasierter Entwicklungsansatz ist darin kaum zu erkennen – wohl aber viel Begeisterung für starkes Wirtschaftswachstum durch starke Zusammenarbeit mit dem Privatsektor.

Doch dass Investitionen der gewinnorientierten Privatwirtschaft nicht nur Teil der Lösung sein können sondern oft sogar Teil des Problems sind und zu Vertreibungen der Ärmsten der Armen führen können, wurde in Busan so gut wie gar nicht problematisiert. Kohärenz wurde zwar allgemein und unverbindlich gefordert. Aber die Probleme, die durch die real nicht existierende Kohärenz im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu beklagen sind, wurden nicht benannt.

Dafür versuchten viele Gebernationen – mit Nachdruck auch Deutschland – das Kosten-Nutzen-Prinzip zu strapazieren und den neuen Hype „result based financing“ zu verbreiten. Entwicklungshilfe-Gelder sollen in verschiedenen Tranchen ausgezahlt werden. Den Rest – oder gar ein Extra-Sahnehäubchen als Belohnung – gibt’s erst, wenn in relativ kurzer Zeit ein messbarer Erfolg nachgewiesen werden kann.

Entwicklungszusammenarbeit effektiver zu machen und weniger Gelder zu verschwenden, ist sicherlich richtig. Doch dieser neue Trend darf nicht dazu führen, dass sich die Entwicklungszusammenarbeit mehr und mehr auf Sektoren verlegt, in denen schnell sicht- und messbare Erfolge präsentiert werden können. Denn dann würden eher Straßen gebaut als benachteiligte Kleinbauergruppen beraten werden. Gerade eine menschenrechtsbasierte und emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit braucht einen langen Atem und muss auch bereit sein, in Risiko-Sektoren zu gehen.

Auf allzu viel Begeisterung stießen Niebel und Co mit ihrem „result based financing“-Ansatz in Busan nicht – zumindest nicht bei den Entwicklungsländern. Positiver wurde das Engagement des BMZ für mehr Geberkoordinierung auf Länderebene aufgenommen. Doch dass ausgerechnet Niebel auf einem Podium saß, in dem die Notwendigkeit diskutiert wurde, die Fragmentierung der Geberlandschaft einzudämmen, stieß auf Verwunderung. Schließlich setzt gerade die schwarz-gelbe Bundesregierung – ganz gegen den internationalen Trend – stärker auf bi- als auf multilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Und gerade das trägt zu einer stärkeren Fragmentierung der Geberlandschaft bei, was auch durch die vom BMZ bei jeder Gelegenheit stolz herausgestellte Fusion von gtz, DED und Inwent nicht wettgemacht wird.

Überhaupt drängte sich beim Auftritt der Bundesregierung der Eindruck auf, dass die starke Betonung der Effizienzsteigerung der Entwicklungszusammenarbeit darüber hinwegtäuschen sollte, dass man die Zusagen in Sachen Entwicklungsfinanzierung nicht einhält.

Auf der Konferenz in Busan mit ihren 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 130 Ländern waren sehr unterschiedliche Stimmen zu hören. Es gab Licht und Schatten. Zu den Lichtblicken gehörten sicherlich die mutigen Redebeiträge der grünen Entwicklungsministerin aus Finnland, Heidi Hautala, die nicht müde wurde zu betonen, dass Entwicklung, Umwelt- und Klimaschutz zusammengedacht und zusammengebracht werden müssen und die Bedeutung der Zivilgesellschaft und die umfassenden und unteilbaren Menschenrechte gestärkt werden sollen. Doch die Stimmen derjenigen, die unter Entwicklung eher „big business“ verstehen, ungetrübte Wachstumsstrategien verbreiten und noch immer an den tickle-down-effekt glauben, waren in Busan lauter.

 

 

 

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