Was kommt nach der G8?
Bericht der Bundestagsfraktion
Die internationalen Machtverhältnisse sind durch das enorme Wirtschaftswachstum der aufstrebenden Nationen des Südens (China, Indien und Brasilien) ins Wanken geraten. Das bestehende System internationaler Institutionen bildet diese Veränderungen nicht mehr ab. Die sogenannte Global Governance Architektur muss sich weiter entwickeln. Globale Probleme, wie der Klimawandel, Terrorismus, Handelskonflikte, Armut und Krankheiten können nicht mehr nur von einer kleinen Gruppe von Staaten gelöst werden, die nur 13 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren. Der Führungsanspruch der alten Industrienationen wird obsolet. Was sind die Konsequenzen für die Neuausrichtung internationaler Organisationen? Sollten die G8 reformiert, erweitert oder ganz abgeschafft werden? Und was wird die zukünftige Rolle der Vereinten Nationen sein?
Über diese Frage diskutierten auf Einladung der Bundestagsfraktion die schwedische Botschafterin Ruth Jacoby, der brasilianische Botschafter Luiz Felipe de Seixas Corrêa und Jürgen Trittin MdB am 24. Mai in Berlin. Moderiert wurde das Gespräch von Thilo Hoppe, MdB.
Es ist klar, dass sich etwas ändern muss und wenig bleiben wird wie es ist. Gleichzeitig gibt es noch kein klares Bild davon, wie eine neue Governance-Struktur aussehen könnte, die mit einer Legitimität ausgestattet ist, wie sie die G8 als "Club der Reichen" heute nicht mehr hat.
Ruth Jacoby betont die Bedeutung des Systems der Vereinten Nationen gerade für die große Zahl der kleinen Länder. Diese werden niemals zu irgendeiner "G-Gruppe" gehören. Sie werden auch niemals zu G8-Treffen eingeladen, anders als die sogenannten fünf "Outreach-Länder"(O-5), womit Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika gemeint sind.
Sie betont die wachsende Bedeutung der Zivilgesellschaft für internationale Politikprozesse und die Lösung globaler Probleme. In Hinblick auf die VN sieht sie Schwächen, die es kurzfristig nicht erlauben werden, dass Funktionen, die heute die G8 wahrnehmen, kurzerhand auf das VN-System übergehen. Die Mühen der Ebenen sind enorm. Wer sieht, wie schwierig die Konsensbildung bereits in der EU mit 27 Staaten ist, kann nachvollziehen, welch anspruchsvolle Aufgabe auf der VN-Ebene mit mehr als 190 Staaten zu bewältigen ist. Und doch sind im Sinne eines effektiveren Multilateralismus mutige Reformschritte notwendig, die die Leistungsfähigkeit der VN erhöhen.
Luiz Felipe de Seixas Corrêa denkt, dass das Governance-Modell 2020 sich von dem heutigen nicht fundamental unterscheiden wird. Die Trägheitsmomente im internationalen System sind erheblich. Wir haben das bei der Debatte um die VN-Sicherheitsratsreform erlebt. Das UN-System, was in wesentlichen Teilen nach dem zweiten Weltkrieg etabliert wurde, ist heute nicht mehr auf der Höhe der Zeit und muss reformiert werden.
Das Legitimitätsproblem, das die G8 hat, würde durch eine G13 (Erweiterung um O-5) nicht beseitigt, eher noch verschärft. Deshalb sollten Veränderungen sich stärker in Richtung eines besser strukturierten und institutionalisierten Dialogs mit den wichtigen neuen Akteuren bewegen. Heute obliegt es dem Wohlwollen jeder G8-Präsidentschaft, die O-5 Länder (oder andere darüber hinausgehende Akteure) einzuladen. Die Eingeladenen haben keinerlei Einfluss darauf, was auf die Tagesordnung der G8-Gipfel kommt. Hier werden demnächst sicher pragmatische Veränderungen in Richtung eines besser strukturierten Dialogs stattfinden. An die wirkliche Herausforderung, eine Reform der gesamten Nachkriegs-Governance-Struktur, traut sich heute aber niemand heran. Eine solche Reform wird es vielleicht erst geben, wenn es zu einer wirklich größeren internationalen Katastrophe kommt – die es natürlich zu vermeiden gilt.
Jürgen Trittin sieht ebenfalls einen dringenden Reformbedarf als Antwort auf den Legitimitätsverlust der G8. Gleichzeitig konstatiert er eine Krise des Multilateralismus. Wir werden uns deshalb damit abfinden müssen, dass die gegenwärtigen Governancestrukturen noch eine ganze Weile weiterbestehen werden. In Hinblick auf den VN-Sicherheitsrat wird es in den nächsten Jahren jedoch zu Veränderungen kommen, um eine regionale Präsenz aus Lateinamerika, Afrika und die Einbeziehung zusätzlicher größerer Akteure in den Sicherheitsrat zu erlauben.
Ansonsten können wir bereits heute eine Reihe von Veränderungen wahrnehmen, die unterhalb einer Strukturreform von Bedeutung sind. Es gibt keine starren Interessensblöcke mehr zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Auch innerhalb der G8 gibt es starke Interessensgegensätze, der Irak-Krieg hat dies deutlich gemacht. In ganz vielen Fragen, beispielsweise der internationalen Umweltpolitik bis zur Welthandelsorganisation, bilden sich fallweise neue Allianzen. Die G77, in der sich weit mehr als 100 Entwicklungsländer zusammenfinden, hat als Gegenpol zu den OECD-Staaten ausgedient. Wir brauchen heute auf allen Seiten viel mehr Flexibilität, um den tatsächlichen internationalen Herausforderungen gerecht zu werden und eine Good Global Governance herauszubilden. Eine aktive Rolle der Nichtregierungsorganisationen und sozialen Bewegungen ist dafür von herausragender Bedeutung.