G8: Das Gipfeltagebuch - Sich nicht abfinden mit dem Hunger in der Welt
Die Zahl der Hungernden steigt und steigt. Mittlerweile sind weltweit 855 Millionen Menschen bedrohlich chronisch unterernährt – und dass, obwohl genügend Nahrungsmittel angebaut werden, die ausreichen würden, doppelt so viele Menschen zu ernähren wie heute auf der Erde leben.
Um die Frage, wie der Hunger bekämpft und das Recht auf Nahrung gestärkt werden kann, geht es in einem Workshop auf dem G8-Alternativ-Gipfel, zu dem FIAN (Food First Information- and Action Network) und die internationale Kleinbauernorganisation Via Campesina eingeladen haben.
Als "Hungerexperte" der grünen Bundestagsfraktion diskutiere ich unter der Moderation von Kofi Yakpo (Universität Nijmwegen) mit Armin Paasch von FIAN Deutschland und Paul Nicholson, einem Apfel- und Gemüsebauern aus dem Baskenland, der für Via Campesina spricht (Foto von links nach rechts).
In der Problemanalyse sind wir uns einig: Das gegenwärtige Welthandelssystem sowie die skandalöse Exportsubventionspraxis der USA und der Europäischen Union begünstigt einseitig die Agro-Industrie – vor allem transnationale Konzerne - und treibt die Kleinbauern und -bäuerinnen in den Ruin, zerstört regionale Märkte und führt zum Anstieg der Zahl der Unterernährten. Auch dass die 2004 auf einer Konferenz der Welternährungsorganisation FAO verabschiedeten Leitlinien zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung viel stärker beachtet und angewendet werden sollten, fordern wir alle auf dem Podium – ebenso einen viel höhreren Stellenwert für eine nachhaltige ländliche Entwicklung.
Nur bei den politischen Strategien gehen die Einschätzungen auseinander. Während Via Campesina der WTO ein komplettes Scheitern wünscht, stelle ich zumindest die Frage, ob nicht auch die WTO als Institution genutzt werden sollte, die Agrarsubventionen unter Druck zu setzen. Man müsste eine Allianz schmieden, die sich für die Aufnahme des Rechts auf Nahrung in die Präambel des WTO-Agrarabkommens einsetzt und den Entwicklungsländern mehr Spielraum einräumt, sich vor Dumping zu schützen. Im Rahmen der WTO hätten die Entwicklungsländern mehr Verhandlungsmacht als beim Aushandeln unzähliger bi- und polylateraler Abkommen. Doch die Frage, ob die WTO mit ihrem "Liberalisierungsdogma" aufgelöst gehört oder reformiert und "umfunktioniert" werden kann, bleibt bei diesem Workshop unbeantwortet.
Auch auf vielen anderen Workshops muss die Spannung ausgehalten und fruchtbar gemacht werden zwischen denen, die als ReformerInnen internationale Institutionen verändern wollen, und denen mit eher revolutionären Vorstellungen und Idealen. Manchmal kommt dabei zum Vorschein, dass moderatere und radikalere Ansätze auch komplementär gesehen werden und sich durchaus ergänzen können.