Die Schlüsselrolle

Von Jürgen Trittin, Thilo Hoppe und Margareta Wolf

Der Charakter der Veranstaltung entspricht nicht dem grünen Verständnis eines angemessenen globalen Diskussions- und Entscheidungsforums. Wir teilen die Kritik an der fehlenden Legitimität der G8 und werfen der Bundesregierung vor, keine Debatte über die Rolle der G8, über ihre längst fällige Transformation und eine Stärkung der Vereinten Nationen angestoßen zu haben. Dabei liegen hoch interessante und zukunftsweisende Vorschläge auf dem Tisch. Eine noch von Kofi Annan eingesetzte hochrangige Expertenkommission hat im November letzten Jahres detaillierte Pläne für eine kräftige Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen (ECOSOC) vorgelegt.

Seit langem belegen Umwelt-, Gewerkschafts- und Entwicklungsgruppen die G8 mit scharfer Kritik. Es stellt sich einfach die Frage, ob der "Club der Reichen" mit seinem begrenzten Mitgliederkreis noch in die Welt von heute passt. Wie will man globale Fragen wie den Klimawandel oder die Armut diskutieren, wenn ganze Kontinente nicht am Tisch sitzen? Vom Standpunkt globaler Gerechtigkeit und repräsentativer Teilhabe scheint die Antwort klar. Solche Weichenstellungen gehören besser unter das Dach der UNO.

Aber die Zeit drängt und die UNO ist schwach. Globale Umweltprobleme und das Massenelend der Welt warten nicht, bis die schwerfällige und immer wieder stockende UN-Reform endlich zu einem befriedigenden Resultat kommt. Besser heute als morgen bräuchten wir eine schlagkräftige UN-Umweltorganisation und ein wirksames UN-Gremium zur Koordination globaler Wirtschafts- und Sozialpolitik. Doch noch sind die G8 zentral in der globalen Machtstruktur. Ihre informellen Absprachen und Entscheidungen wirken sich auf das Leben von Millionen von Menschen aus. Sie bergen auch die Chance, den Klimawandel zu stoppen. Deshalb bleibt es sinnvoll, konkrete Forderungen an die G8-Staaten zu stellen.

Nicht transparent und nicht repräsentativ

Unter dem Eindruck der ersten großen Ölkrise traten vor gut 30 Jahren auf Schloss Rambouillet bei Paris sechs Staaten zum ersten Weltwirtschaftsgipfel zusammen. Damals ahnte wohl kaum jemand, dass aus diesen informellen Gesprächen über Währungs- und Finanzfragen eine permanente Kooperation werden würde. Jenseits parlamentarischer Beteiligung – allein auf Minister- und Regierungsebene – treffen die mittlerweile acht Staaten heute Entscheidungen mit weit reichenden internationalen Auswirkungen.

Doch die G8 repräsentieren nur eine Minderheit. Regierungen aus aufstrebenden Ländern wie China, Indien oder Brasilien werden zwar eingeladen, informell an manchen Diskussionsrunden der G8 teilzunehmen, aber ohne ein wirkliches Mitspracherecht.

Warum sollten sich also Schwellen- und Entwicklungsländer die Vorschläge und Programme der G8 zu eigen machen? Erst vor zwei Jahren ist China als weltweit drittgrößter Warenexporteur an die Stelle Japans getreten. 2010 wird das Land voraussichtlich die Nummer Eins des Welthandels sein. Der Anteil Chinas und Indiens am Welt-BIP ist innerhalb der letzten zehn Jahre erheblich gewachsen.

Ohne Integration der Schwellenländer in globale Absprachen läuft künftig gar nichts mehr. Gerade wenn man verhindern will, dass "nationale Marktarmeen" sich in einem "Weltkrieg um Wohlstand" gegenseitig bekämpfen, müssen die weltweiten Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkte künftig effektiver und kooperativer reguliert werden. Dann können alle Beteiligten vom zunehmenden Welthandel profitieren.

G13, G20 oder doch die UNO?

Die Debatte über eine Transformation der G8 ist im Gange. Der Vorschlag des britischen Premiers Tony Blair zielt zum Beispiel auf eine G13, also eine Erweiterung der Gruppe um Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika. Auch von einer G20 hat man schon gehört. Vor allem aber müsste die Reform der Vereinten Nationen vorangebracht werden, damit sich die beteiligten Länder auch in bisher ausgeklammerten wirtschaftlichen und sozialen Belangen abstimmen. Die eingangs erwähnten Vorschläge zur Aufwertung des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen sind zu unterstützen.

Eine Reform der G8 selbst wird auf dem diesjährigen Treffen aber leider keine Rolle spielen. Stattdessen bewegt sich die Bundesregierung auf weniger nachgiebigem Boden: Sie hat unter anderem mehr Finanzmarktstabilität, eine verbesserte Investitionsordnung, Initiativen zum Klimaschutz und zur Partnerschaft mit Afrika als Themen benannt. Konkrete Vorschläge und Arbeitspläne sind aber nicht bekannt.

Verbindliche CO2-Minderungen

Mit den G8 treffen sich einige der größten Klimaverschmutzer der Welt. Wenn das kein originäres Thema für diesen Gipfel ist! Nach dem Bericht des britischen Ökonomen Nicholas Stern über die wirtschaftlichen Folgen des fortschreitenden Klimwandels und dem Anfang Februar präsentierten Klimabericht der UN

liegen die Fakten auf dem Tisch. Nun könnten die VerursacherInnen der Erderwärmung von Heiligendamm aus ein eindeutiges Signal an die Welt senden. Mit einer ambitionierten Initiative zum Klimaschutz könnten sie zeigen, dass sie umsteuern und Verantwortung übernehmen. Die Hauptlast des Klimawandels tragen nicht die reichen VerursacherInnen, sondern zuerst die Armen des Südens. Je ärmer und schwächer, desto geringer ihre Möglichkeiten, sich an den Klimawandel anzupassen und zu schützen.

Alle G8-Staaten – auch die USA – müssen zu verbindlichen CO2-Minderungen bereit sein. Andernfalls werden Schwellenländer wie China und Indien sich wohl kaum auf ernsthafte Verhandlungen über ihren Beitrag zur Schadstoffreduzierung einlassen.

Für Deutschland heißt es hier, "leadership" zu demonstrieren. Eine Selbstverpflichtung, die deutschen Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 2020 und mindestens 80 Prozent bis 2050 zu verringern, sollte auch die Partnerländer in Zugzwang bringen. Innerhalb der EU muss ein verbindliches und unkonditioniertes CO2-Minderungsziel von mindestens 30 Prozent für die Zeit von 2012 bis 2020 festgelegt werden.

Erneuerbare Energien fördern

Die G8-Staaten könnten auch ihren Einfluss in der Weltbank nutzen, um erneuerbare Energien zu fördern. Vor drei Jahren brachte die Konferenz zu erneuerbaren Energien in Bonn eine spürbare Aufbruchstimmung. Die G8 sollten eine Fortsetzung dieser erfolgreichen Konferenz verabreden. Neben dem Einsatz erneuerbarer Energien sind eine bessere Energieeffizienz und die Einsparung von Energie entscheidend. Wir brauchen einen "grünen Innovationszyklus" für effiziente Technologien, Fahrzeuge und Häuser. Von den G8-Staaten müssen Initiativen ausgehen, die für die Konsumentinnen und Konsumenten und für die Unternehmen Anreize schaffen, sich klimafreundlicher zu verhalten: zum Beispiel bei Abgaswerten für Autos und dem Energieverbrauch von Konsumgütern.

Fatal wäre ein Signal der G8 in Richtung Atomkraft. Sie bietet weder einen Ausweg aus der Klimaproblematik noch eine Lösung unserer Energieprobleme. Sie schafft nur neue unkalkulierbare Risiken. Die Gefahr eines Supergaus lässt sich nicht bannen. Die Entsorgungsfrage für den strahlenden Atommüll ist weiterhin ungelöst und überdies ist Uran selbst eine begrenzte Ressource.

Afrikas Aufbruch unterstützen

Seit ein paar Jahren gibt es reale Zeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs auf dem afrikanischen Kontinent, verbessern sich Handelsbedingungen und ergeben sich neue Investitionsmöglichkeiten. In einem Großteil der afrikanischen Staaten wurden Reformen eingeleitet, die zu besserer wirtschaftlicher Entwicklung führen können.

Doch trotz dieser Fortschritte ist Afrika die einzige Region der Erde, in der die Zahl der Armen insgesamt noch immer steigt. 33 Prozent der Menschen in Afrika südlich der Sahara hungern oder leiden an Unterernährung – mehr als doppelt so viel wie im Schnitt der Entwicklungsländer. Die Kindersterblichkeit ist hier weiterhin auf einem unerträglich hohen Stand. Die Lebenserwartung ist entsprechend gering.

Die internationale Staatengemeinschaft hat sich 2000 auf acht Millenniumsentwicklungsziele verständigt. Dazu gehören die Bekämpfung von Armut und Hunger, der Zugang zu Bildung, die Gleichstellung der Geschlechter und die Bekämpfung von HIV/Aids. Die G8 haben zwar diese Ziele in der Vergangenheit unterstützt, geschehen ist aber zu wenig.

In ihrem Präsidentschaftsprogramm setzt die Bundesregierung in erster Linie auf bessere Regierungsführung und private ausländische Direktinvestitionen in den afrikanischen Ländern. Sie sollen dort die Entwicklung vorantreiben. Das darf allerdings nicht dazu führen, die Finanzierung der Entwicklungsziele hintanzustellen. Denn mehr Geld für Entwicklung und notwendige innerstaatliche Reformen müssen zusammenwirken. Die Verantwortung der G8, die entsprechenden Mittel auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, bleibt bestehen. Das benötigte Geld könnte etwa aus einer Devisenumsatzsteuer, einer Flugticketabgabe oder einer Kerosinsteuer kommen. Deutschland sollte sich hier den Vorreitern wie Frankreich und Belgien anschließen.

Demokratische und ökonomische Fortschritte bleiben von Politik und Medien oft unbemerkt. In fast allen afrikanischen Ländern gibt es starke politische und zivilgesellschaftliche Kräfte, die sich für Demokratie, gute Regierungsführung, ökologische und soziale Standards einsetzen. Mit den afrikanischen Partnern sollte ein Dialog über die politische und wirtschaftliche Zukunft des Kontinents geführt werden.

In der Wirtschaftspolitik, bei der Korruptionsbekämpfung, in Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Konfliktbearbeitung sind die afrikanischen Staaten längst selbst aktiv geworden. Die afrikanische Initiative "Neue Partnerschaft für afrikanische Entwicklung" (NePAD) bietet ein gutes Forum zur Zusammenarbeit, um diese positiven Entwicklungen zu unterstützen.

Leitplanken für den Rohstoffhandel

Zentral für eine gerechte Globalisierung ist die Durchsetzung von Umwelt- und Sozialstandards im Welthandel, besonders im Rohstoffsektor als einem der wichtigsten Märkte. Der Abbau und die Förderung von Öl, Holz oder Diamanten finden häufig in ökologisch sensiblen Gebieten statt und oft mit fatalen Folgen für Mensch und Umwelt. Als Hauptabnehmer von Rohstoffen sind die G8-Staaten an einer verlässlichen Versorgung interessiert. Sie stehen aber auch in der Verantwortung, mit ihrer Nachfrage nicht Konflikte zu verschärfen oder die Umwelt zu zerstören. Mit China und Indien treten in Afrika, Zentralasien und Lateinamerika neue Abnehmer auf. Neue Interessenskonstellationen und -konflikte zeichnen sich ab, denen ohne verbindliche Standards Menschenrechte oder Umweltschutz schnell zum Opfer fallen können.

Gute Regierungsführung und Transparenz sind Voraussetzungen dafür, dass die Rohstoffeinnahmen tatsächlich den Menschen in den Produktionsländern nutzen. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, die Transparenz von Rohstoffeinnahmen zu erhöhen. Die G8 sollten Initiativen für verbindliche soziale und ökologische Standards ergreifen. Deutschland kann hier eine Vorreiterrolle übernehmen, indem es solche Standards fest in der Außenwirtschaftsförderung, bei Hermesbürgschaften und Investitionsgarantien verankert.

Tropenwald schützen

Der nachhaltige Umgang mit Ressourcen kommt auch dem Klimaschutz und dem Erhalt der Biodiversität zugute. Der Amazonas, das Kongobecken und die Tropenwälder Südostasiens sind dafür von herausragender Bedeutung. Die Weltbank geht davon aus, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Treibhausgase durch Tropenwaldzerstörung entstehen. Durch den Schutz der Wälder lassen sich zu vergleichbar geringen Kosten große Fortschritte im Klimaschutz erreichen. Kompensationszahlungen für ihren Erhalt könnten zudem erheblich dazu beitragen, die Entwicklung dieser Regionen zu fördern. Innovative Ausgleichs- und Finanzierungsinstrumente sind hier gefragt.

In der Klimapolitik gibt es durchaus Fortschritte. Um sie nicht wieder zunichte zu machen, muss entschieden gegen Brandrodungen vorgegangen werden, die die landwirtschaftliche Nutzung erzwingen sollen, und es muss gelingen, den illegalen Holzeinschlag zu reduzieren, aus dem gut die Hälfte des Holzes weltweit stammt. Die G8-Staaten als wichtige Abnehmer müssen sich auf ein entsprechendes Handelsverbot verständigen.

Globale Gesundheit

In vielen Entwicklungsländern ist die Gesundheitsversorgung beklagenswert schlecht. Die G8-Staaten verfügen über die Mittel, entscheidende Verbesserungen herbeizuführen. Finanzielle Unterstützung wäre eine Möglichkeit, eine andere besteht in Veränderungen des internationalen Handels- und Patentrechts. Hier sind nicht nur die Regierungen, sondern auch die in den G8-Staaten beheimateten Pharmakonzerne gefragt. Während in den Industrieländern antiretrovirale Therapien die Todesraten bei einer HIV/Aids-Infektion erheblich reduzieren konnten, sind solche Medikamente für Menschen in Entwicklungsländern kaum erhältlich. Dafür sind auch hohe Medikamentenpreise verantwortlich, die durch internationale Handels- und Patentgesetze mit verursacht werden. Krankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder die Schlaf-Krankheit treten vorwiegend in Entwicklungsländern auf, aber es gibt keine auf die dortigen Bedürfnisse angepassten Medikamente oder Impfstoffe. Denn Entwicklungsländer sind aus Sicht der pharmazeutischen Industrie keine lukrativen Absatzmärkte.

Über Jahre diskutierten die G8 ein Pilotprojekt zu staatlichen Abnahmegarantien für privatwirtschaftlich entwickelte Impfstoffe. Auf Finanzierungszusagen konnte man sich seitens der G8 nicht verständigen, so wird das Projekt nur von einzelnen Ländern außerhalb der G8-Ebene lanciert.

Nicht nur in diesem Fall müssen die G8 auch finanziell Zusagen machen. Auch die Unterstützung des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) muss aufgestockt werden. Dort besteht für 2007 nach Angaben von UNAIDS immer noch eine Finanzierungslücke von zehn Milliarden US-Dollar. Frankreich und andere Länder haben die Richtung vorgegeben, sie führen die Erlöse einer dafür erhobenen Flugticketabgabe einem globalen Gesundheitsfonds zu. Deutschland muss sich dieser Initiative endlich anschließen.

Jetzt handeln!

Dies sind nur einige Bereiche, in denen die G8 schnell und effektiv zur Lösung globaler Menschheitsprobleme beitragen könnten. Es bleibt unbefriedigend, dass eine kleine Machtelite Entscheidungen von derartiger Tragweite fällt.

Doch die angesprochenen Probleme drängen, sie warten nicht auf eine gerechtere und demokratischere globale Struktur der Partizipation. Deshalb müssen wir auf allen Ebenen handeln. Und deshalb ist es auch richtig, die G8 unmissverständlich zum Handeln aufzufordern.

 

Wer sind die G8?

Der Gruppe der Acht gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Russland und die USA an. Der Vorsitz wechselt jährlich. Die Treffen sind informell, um in "entspannter Runde" globale Themen und Probleme zu beraten. Die G8-Länder vereinigen etwa 50 Prozent des Welthandels auf sich – aber nur ein Fünftel der Weltbevölkerung.

 

in: profil:GRÜN, März 2007

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