Kampf gegen den Hunger: Wir brauchen Nachhaltigkeitkriterien für den gesamten Agrarsektor
Der dramatische Anstieg der Lebensmittelpreise hat vielfältige Ursachen: Spekulation, Konzentrationsprozesse im internationalen Getreidehandel, der Anstieg des Fleischkonsums in bevölkerungsreichen Schwellenländern wie China und Indien, Vernachlässigung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in den Entwicklungsländern sowie in der Entwicklungszusammenarbeit, überzogener Freihandel, falsche Anreize durch eine verfehlte Agrarpolitik, ungerechte Landverteilung, auf den Klimawandel zurückzuführende Naturkatastrophen und schließlich auch die zunehmende energetische Nutzung von Biomasse.
Den Anstieg der Lebensmittelpreise und die jüngsten Hungeraufstände nur auf den Agrotreibstoff-Boom zurückzuführen, lenkt von all den anderen Ursachen ab. Weltweit gesehen wachsen auf 30 Prozent der genutzten Agrarflächen Futtermittel für die rapide zunehmende Massentierhaltung, während sich der Anbau von Energiepflanzen bisher lediglich auf 2 Prozent der Äcker erstreckt. Die Tendenz ist jedoch steigend. Und deshalb muss es jetzt dringend Kurskorrekturen geben, um einer zunehmenden Flächenkonkurrenz entgegenzuwirken.
Die Politik ist gefordert, starke Leitplanken einzuziehen, die dafür Sorgen, dass die energetische Nutzung der Biomasse weder das Hungerproblem verschärft noch zu Lasten der biologischen Vielfalt geht.
Die Schaffung eines Zertifizierungssystems, das verbindliche ökologische und soziale Standards für den Anbau von Energiepflanzen und die Produktion von Agrotreibstoffen festlegt, ist notwendig, reicht aber nicht aus, um auch die Ausweicheffekte zu erfassen. Die internationale Gemeinschaft kommt nicht darum herum, die gesamte Politik von Ländern, die Energiepflanzen oder Agrotreibstoffe exportieren wollen, unter die Lupe zu nehmen: Sind nationale Flächennutzungspläne und Ressourcenmanagement an internationalen Abkommen zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung und zum Erhalt der biologischen Vielfalt ausgerichtet? Oder geht die energetische Nutzung von Biomasse einher mit Raubbau an der Natur und Verletzung von elementaren Menschenrechten?
Internationale Institutionen wie die Welternährungsorganisation (FAO) sowie das Umwelt- und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNEP und UNDP) sind aufgefordert, sich mit Nachdruck an der Entwicklung von Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien zu beteiligen, die nicht allein für Energiepflanzen sondern für den gesamten Agrarsektor gelten und von der Welthandelsorganisation (WTO) akzeptiert werden müssen.
Dies ist eine Herkulesaufgabe, die nicht von heute auf morgen bewerkstelligt werden kann. Nachhaltigkeits- und Menschenrechtskriterien für den Agrarhandel könnten aber schon heute in bilateralen Verträgen zwischen der Europäischen Union und Partnerländern oder Staatengruppen in Übersee verankert werden.
Die Agrotreibstoff-Ziele der Europäischen Union müssen im Lichte der jüngsten Entwicklung noch einmal überdacht und möglicherweise nach unten korrigiert werden. Aber ähnlich kritisch muss auch die unkontrollierte Einfuhr von Futtermitteln aus Entwicklungsländern betrachtet werden.
Dort, wo schlimmste Auswirkungen der gegenwärtigen Ernährungskrise zu spüren sind, muss das Welternährungsprogramm Soforthilfe leisten. Nahrungsmittelhilfe ist aber nur eine Linderung, keinesfalls die Lösung des Problems. Dazu muss in den vom Hunger betroffenen Ländern der Anbau von Grundnahrungsmitteln angekurbelt werden – sowohl von den Regierungen in Übersee als auch mit Hilfe der Entwicklungszusammenarbeit.
Wie im jüngst vorgelegten Weltagrarbericht erneut bestätigt wurde, sind dafür besonders Unterstützungen für Kleinbauern und Landreformen notwendig sowie Investitionen in eine nachhaltige, angepasste Landwirtschaft, die wenig kostenintensiv ist und die natürlichen Ressourcen schont. Die grüne Gentechnik ist ungeeignet, das Hungerproblem zu lösen. Was wir brauchen ist eine konsequente Agrarwende – weltweit.