Rede zum Einzelplan wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort dem Kollegen Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen.
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Müsste ich meinen Kommentar zum vorgelegten Haushaltsentwurf in einem Slogan zusammenfassen, dann würde ich sagen: Gut, aber nicht gut genug. Wir erkennen an und begrüßen ausdrücklich, dass die entwicklungsrelevanten Mittel um 800 Millionen Euro steigen werden. Doch es gilt: Versprochen ist versprochen, und Versprechen muss man halten.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Ach!)
- Ja, natürlich. Das ist klar.
Das, was die Bundesregierung auf vielen Konferenzen versprochen hat, zum Schluss die Kanzlerin sehr medienwirksam in Heiligendamm, würde bedeuten, die Mittel Jahr um Jahr um 1 Milliarde Euro zu steigern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir nehmen Sie da beim Wort und werden im Haushaltsverfahren Anträge einbringen, die die Kluft zwischen dem Versprochenen und dem tatsächlich Eingehaltenen zumindest etwas kleiner machen. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird die Lücke immer größer. Die Europäische Kommission hat genau ausgerechnet, dass bereits in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro fehlen. Wenn keine Kurskorrektur erfolgt, dann wird die Lücke im nächsten Jahr bereits 3 Milliarden Euro betragen. Der Regierung geht die Puste aus, und sie wird ihre Versprechen nicht erfüllen können, da sie nicht dafür sorgt, eine solide Finanzierung für die zugesagten Steigerungen auf die Beine zu stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben uns immer für einen Dreiklang ausgesprochen, um die ODA-Mittel steigern zu können: höhere Haushaltsmittel, weitere Entschuldung und - das ist jetzt ganz besonders wichtig - neue innovative Finanzierungsinstrumente. Sich dabei ausschließlich auf den Emissionshandel zu stützen, wie das die Bundesregierung tut, wird nicht ausreichen. Es rächt sich, dass die Koalition es nicht geschafft hat, sich auf die Einführung einer Flugticketabgabe zu einigen. Auch das Projekt Devisenumsatzsteuer hat sie wahrscheinlich ad acta gelegt. Eine Flugticketabgabe, wie sie die Franzosen bereits praktizieren, würde allein 300 Millionen Euro pro Jahr einbringen. Wenn man eine Devisenumsatzsteuer einführen würde - ich weiß, das geht nur im Einklang mit vielen anderen Playern -, brächte ein Satz von nur 0,005 Prozent Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe.
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum darauf verzichten?)
Wir haben diese Vorschläge auf den Tisch gelegt. Wenn die Regierung unsere Vorschläge ablehnt - das kann sie tun -, muss sie aber Alternativen vorlegen
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)
und deutlich machen, mit welchen Instrumenten und welchen Finanzierungsmöglichkeiten sie diese Erhöhungen erreichen will. Oder seien Sie bitte ehrlich und sagen Sie: Wir können uns nicht auf andere Finanzierungsinstrumente einigen, wir können uns die zusätzlichen Milliarden nicht aus den Rippen schneiden. Dann lässt sich aber das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 nicht erreichen.
Wir stehen vor zwei riesengroßen globalen Herausforderungen, die wir nur stemmen können, wenn wir erstens deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, wenn wir zweitens die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit entscheidend verbessern und wenn wir drittens endlich damit aufhören, Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit durch krasse Fehlentscheidungen auf anderen Politikfeldern, wie im Handels- und Agrarbereich, wieder zunichtezumachen. Wir haben da von den Kollegen einige Beispiele gehört. Ich nenne nur die Wiedereinführung von Agrarexportsubventionen für Schweinefleisch. Das ist völlig kontraproduktiv zu dem, was wir in der Entwicklungspolitik machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Inkohärenz muss beseitigt werden.
Die beiden Megaherausforderungen sind der Klimawandel und die Erreichung der Millenniumsziele. Durch die sich dramatisch zuspitzende Welternährungskrise aufgrund der stark ansteigenden Preise sind wir gerade beim wichtigsten Millenniumsziel - der Halbierung der Zahl der Hungernden - weit weg von der Erfolgsspur. Entwicklungspolitik kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie Armutsbekämpfung und globalen Umwelt- und Klimaschutz konsequent zusammenbringt und nicht gegeneinander ausspielt.
Lassen Sie mich zum Klimawandel nur so viel sagen: Maßnahmen, die den Klimawandel eindämmen sollen, wie etwa große Programme zum Schutz der tropischen Regenwälder, können nicht allein aus den Etats der Entwicklungshilfeministerien finanziert werden. Es kann höchstens ein Anfang sein, dass man Pilotprojekte auf den Weg bringt.
Sonst fehlt das Geld für die Verfolgung der anderen wichtigen Millenniumsziele: für die Aids-Bekämpfung, die Hungerbekämpfung, die Bildung und die Gesundheit. Das Klima zu retten und die Erderwärmung zu begrenzen, ist eine große globale Gemeinschaftsaufgabe. Dafür brauchen wir dringend neue Finanzierungsmechanismen. Das geht nicht allein aus den Kassen der Entwicklungspolitik.
Was die klassischen Millenniumsziele betrifft - das wurde bereits erwähnt -, sind wir gerade bei der Hungerbekämpfung von der Erfolgsspur noch sehr weit entfernt. Die Hunger Task Force, die sich auf Initiative von Ban Ki-moon neu gebildet hat, geht davon aus, dass wir vielleicht schon im nächsten Jahr die 1-Milliarde-Grenze erreichen, was die Zahl der Menschen angeht, die chronisch bedrohlich unterernährt sind.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle uns darüber im Klaren sind, was das bedeutet; das gilt auch für die breite Öffentlichkeit. Um nur einige Konsequenzen zu nennen: Neben den vielen schrecklichen Einzelschicksalen hungernder und verhungernder Menschen wird es zu Wanderbewegungen und zu einem verstärkten Druck auf die Wälder kommen, die im Hinblick auf die biologische Vielfalt und das Klima eigentlich geschützt werden müssten. Es werden Aufstände stattfinden, und die Hungerfrage wird sich zu einer Sicherheitsfrage entwickeln.
Auf dem Welternährungsgipfel im Rom wurde endlich die entscheidende Rolle der Kleinbauern herausgestellt und betont, dass gerade sie auf nachhaltige Art und Weise gefördert werden müssen, um für lokale und regionale Märkte Nahrungsmittel zur Verfügung stellen zu können. Wir haben das seit langer Zeit gefordert, schon zu Zeiten von Rot-Grün,
(Hellmut Königshaus [FDP]: Da wurde aber nichts gemacht!)
haben uns gegenüber unserem Koalitionspartner aber leider nicht immer durchsetzen können. Schon damals ist die ländliche Entwicklung leider vernachlässigt worden.
(Zuruf von der SPD: Zugunsten anderer Schwerpunkte!)
Zur Bekämpfung des Hungers sind viele Maßnahmen notwendig. Dazu gehört die schnellstmögliche Abschaffung der Agrarexportsubventionen. Was diese Maßnahme betrifft, werden wir Entwicklungspolitiker einer Meinung sein. Davon müssen wir eher die Agrarlobby überzeugen.
Weitere wichtige Punkte sind die Eindämmung der Spekulation mit Lebensmitteln, die Einführung von verbindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien für die gesamte Agrarpalette - nicht nur für die Agrotreibstoffe, sondern auch für die Futtermittelproduktion, für Kaffee, Baumwolle usw. -, damit es nicht zu einer Flächenkonkurrenz kommt und das Recht auf Nahrung nicht ausgehöhlt wird.
Für uns Entwicklungspolitiker spielt insbesondere in den Haushaltsberatungen auch Folgendes eine Rolle: Wir brauchen mehr Geld und bessere Konzepte für die ländliche Entwicklung. In diesem Bereich sind zwar große Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings ausgehend von einem sehr geringen Niveau. Bisher sind gerade einmal etwas mehr als 3 Prozent der bilateralen EZ in den ländlichen Bereich geflossen. Jetzt sollen es 5 Prozent werden.
Die Hunger Task Force der Vereinten Nationen fordert ein Zehn-zu-zehn-Abkommen, das wir mit Nachdruck unterstützen. Sie möchte, dass 10 Prozent der nationalen Entwicklungsetats in den Agrarsektor fließen. Allerdings sollten auch die afrikanischen Staaten ihre Zusage, die sie auf einer Konferenz in Maputo gegeben haben, einhalten und 10 Prozent ihrer nationalen Haushaltsmittel in die Förderung des Agrarsektors stecken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zusammenfassend ist zu sagen: Wir fordern mehr Mittel und tragfähige Konzepte für Ernährungssicherung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Außerdem fordern wir mehr Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan; in den nächsten Wochen werden wir über dieses Thema noch viele Debatten führen. Wir fordern pro Jahr mindestens 200 Millionen Euro, um die große Diskrepanz zwischen zivilen und militärischen Anstrengungen ein wenig auszugleichen. Außerdem fordern wir mehr Geld für den Erhalt der tropischen Regenwälder und für Maßnahmen, die den Klimawandel aufhalten und die biologische Vielfalt schützen.
Um die Millenniumsziele zu erreichen und die Qualität sowie die Quantität der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern, sind große Anstrengungen notwendig. Was die Qualität angeht, warten wir noch immer auf die versprochene institutionelle Reform. Leider mussten und müssen wir mit ansehen, dass sie im Koalitionsstreit steckengeblieben ist. Wir halten es für dringend notwendig, GTZ und KfW zu einer schlagkräftigen bundeseigenen Entwicklungsagentur zusammenzuführen. Wir hoffen, dass sich die Koalition auf den letzten Metern doch noch einigt und sich zu einem entsprechenden Projekt durchringt.
Wie ich sehe, läuft mir die Zeit davon. Allerdings möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass zur Qualität der Entwicklungszusammenarbeit auch gehört, dass dieses Haus zur Kenntnis nimmt, über was auf den großen Konferenzen, zum Beispiel auf der Konferenz in Accra, diskutiert wird. Denn die Diskussion über die Qualität klafft international und national weit auseinander.
(Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
In Accra - wir sind mit einer Delegation dort gewesen - haben alle Player - Nichtregierungsorganisationen, Vertreter der Entwicklungsländer und Vertreter anderer Gebernationen - darauf hingewiesen, dass gerade die Mittel für die Instrumente, die Sie sehr kritisch beurteilt haben, zum Beispiel die programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung und die Budgethilfe, gesteigert werden müssten, natürlich nicht unkonditioniert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In diese Richtung geht die internationale Diskussion. Hier aber streiten besonders viele - nicht alle, aber viele von Union und FDP - eher für eine Nationalisierung der Entwicklungspolitik, ganz stark für das bilaterale Element, an das wieder die deutsche Flagge geheftet werden kann.
Zudem gibt es eine große Diskussion über die Lieferentbindung, also darüber, Entwicklungspolitik und Außenwirtschaftsförderung nicht miteinander zu verzahnen. Bei Union und FDP zeigt sich immer wieder das Bestreben, diese beiden Bereiche, die beide ihre Berechtigung haben, aber sauber getrennt werden sollten, miteinander zu verzahnen. Die Entwicklungsaufgaben, die MDGs, sind so wichtig, so lebensnotwendig, dass jeder Euro so effizient wie möglich genutzt werden muss. Andere Ziele wie die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland sind auch wichtig und erstrebenswert. Das sollte aber bitte nicht aus den Kassen des Entwicklungsministeriums bezahlt werden.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege Hoppe, ich muss Sie jetzt wirklich an Ihre Zeit erinnern.
Thilo Hoppe(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Quantität und Qualität der Entwicklungszusammenarbeit müssen verbessert werden. Vor allen Dingen muss endlich eine kohärente Politik angestrebt werden, bei der alle Politikbereiche an einem Strang ziehen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)